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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen
Autoren: Masuji Ibuse
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fuhren wir über Miyazu und von da mit einem
Kahn bis zur Miyuki-Brücke. Tante Shigeko war nicht verletzt, Onkel Shigematsu
aber im Gesicht verwundet. Es ist eine Katastrophe ohnegleichen, ganz
unmöglich, sich überhaupt ein Bild von alldem zu machen. Das Haus steht völlig
schief, es hat sich um etwa 15 Grad geneigt; daher sitze ich am Eingang vom
Luftschutzunterstand und schreibe in mein Tagebuch.
     
    7. August.
    Wir wollten gestern in die Arbeiterunterkunft
der Ujina-Werke ziehen, es ging aber nicht. Onkel Shigematsu schlug vor, in
Furuichi ein Obdach zu suchen. Tante Shigeko kam mit. Onkel Shigematsu kamen
die Tränen, als er im Betriebsbüro stand. Hiroshima ist eine ausgebrannte
Stadt, eine Stadt der Asche, eine Stadt des Todes, eine Stadt der Zerstörung,
die Leichenberge sind ein stummer Protest gegen die Unmenschlichkeit des
Krieges.
    Heute Besichtigung der Schäden im Werk.
     
    8. August.
    Irrsinnig beschäftigt, für alle Reis zum
Frühstück zu kochen.
    Grundsätze über die Weiterführung des Werks, die
man auf einer Beratung beschlossen hatte, wurden veröffentlicht.
     
    9. August.
    Weitere Überlebende, die Unterkunft suchen, sind
heute angekommen. Darunter auch Leute, die zu keinem von der Belegschaft
gehören. Fast alle sind verwundet. Niemand hat ordentliche Sachen an. Einer kam
mit einem Paket im Arm, das eine Schachtel mit der Asche irgendeines
Angehörigen enthielt; er hängte das Paket an einem Bindfaden an die Dachrinne
über dem Fenster und murmelte dabei ein Gebet. Da war auch ein Mann mittleren
Alters, der sich ein dreckiges Tuch um den Hals gewickelt hatte, sein Gesicht
war grob und finster. Er verteilte an jeden drei neue Postkarten und sagte
dabei in einer Art Galgenhumor: „Hier, nicht lange gefackelt, schreibt euren
Leuten, die sich um euch Sorgen machen, ein paar Zeilen. Ihr könnt davon so
viele haben, wie ihr wollt — ich stell die selber her. Aber nichts verraten!“
Ich nehme an, er hatte sie in irgendeinem ausgebombten Postamt gefunden.
    Es ist ein Uhr mittags, und die meisten Leute
ruhen, sind eingeschlafen. Heute, glaube ich, kann ich schon wieder etwas
klarer denken, daher will ich in Gedanken noch einmal durchgehen, was seit dem
Sechsten geschehen ist. Morgens um halb fünf kam Herr Nojima mit dem LKW und
lud unsere Sachen auf, um sie aufs Land zu schaffen. Wir waren alle aus
derselben Nachbarschaftsvereinigung oder aus der angrenzenden — Frau Nojima,
Frau Miyaji, Frau Yoshimura und Frau Doi. Wir stiegen auf, und jeder setzte
sich neben seine Flabseligkeiten. Abfahrt um 5.30.
    An der Landstraße von Koi nach Furue sahen wir
eine dunkelbraune lebensgroße Figur eines Mannes als Vogelscheuche auf einem
winzigen Flecken Land stehen, auf dem Hirse wuchs. Herr Nojima fuhr langsamer
und klopfte an die Stäbe, die die Fahrerkabine vom Laderaum trennten, als
wollte er sagen: Seht mal! Das sieht aber komisch aus, was? Es war nur eine
Puppe, aber Gesicht, Hände und Füße waren genau nachgebildet, wie aus Ton
modelliert, und um die Hüften hatte man eine Strohmatte gebunden.
Wahrscheinlich bestand die Figur aus Papiermaché. Frau Nojima meinte: „Ob das
eine Vogelscheuche ist, von Eingeborenen gemacht, die einer aus der Südsee
mitgebracht hat?“ Und Frau Miyaji sagte: „Ich nehme an, es ist eine Wachspuppe
aus einem Warenhaus, vom Rauch geschwärzt, von einer Ölbombe oder so was
Ähnlichem.“ Und Frau Doi sagte: „Ich bin ordentlich erschrocken, ich hab’s für
einen richtigen Menschen gehalten, der ganz verkohlt ist.“
    Um halb sieben erreichten wir Furue. An den
Bauernhäusern waren noch die Fensterläden geschlossen, aber im Elternhaus von
Frau Nojima warteten die alte Dame und der alte Herr schon auf uns. Sie hatten
bereits die Türen des Vorratskellers in den Erdwällen aufgemacht. Wir luden
unsere Sachen ab und brachten sie in den Vorratskeller. Frau Nojima schrieb
jedem eine Quittung — nur der Ordnung halber, meinte sie — , dann bat sie uns, ins Wohnhaus zu kommen, und gab jedem eine kleine Gurke und
Bohnenmus dazu. Sie hätten kein richtiges Gebäck, das sie zum grünen Tee
reichen könnten, erklärte sie. Sie waren alle sehr nett zu uns. Frau Nojimas
Vater ließ seinen Schwiegersohn, Herrn Nojima, den Gastgeber spielen. „Unsere
Pfirsiche sind noch ziemlich grün“, sagte er mit altmodischer Höflichkeit,
„aber ich hoffe, Sie werden dennoch davon kosten. Sie sind vom Nachttau noch
kalt, wissen Sie.“ Er verschwand nach draußen und war im Nu wieder
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