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Schwarzer, Alice

Schwarzer, Alice

Titel: Schwarzer, Alice
Autoren: Die grosse Verschleierung
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Oder: Alternde Frauen sind nicht so einsam ...).
    Tahez ist es auch, die uns freundlich die Exekution der
ersten Homosexuellen bestätigt. »Homosexualität verstößt gegen den Islam, weil
sie gegen die Gesellschaft gerichtet ist: Sie ist nur Begierde und nicht
Ausdruck eines Kinderwunsches.«
    Diese Frauen, die nicht selten in den Kerkern des Schahs
gefoltert wurden, erläutern uns detailliert, wie in Zukunft »beim einmaligen
Vorkommen« von Homosexualität die Prügelstrafe angewandt wird und, »wenn es zur
Gewohnheit wird«, die Todesstrafe. Bei Männern und Frauen. Ganz
gleichberechtigt. »Die Unterdrückung des Schahs kam für uns Iraner von außen
und war so offensichtlich und gewalttätig, dass man sich dagegen
wehren konnte. Die religiöse Unterdrückung kommt vom Volke selbst und wird von
der Mehrheit der Iraner selbst blindwütig gut geheißen, denn sie fanden nur
diese Form der Auflehnung gegen die Schreckenstyrannei.« Das schrieb die
Iranerin Anoucha Hodes in der April-EMMA 1979. Wie recht sie hat.
    Sie glauben sich so fest auf der Seite der Gerechten, dass
sie Unrecht noch nicht einmal mehr erkennen. Und sie haben vom Westen nie
Alternativen geboten bekommen. Die scheinbare Liberalisierung unter dem
Schah-Regime war nicht mehr als eine Fratze. Wenn der Schah-Vater den Frauen
einst durch Soldaten gewaltsam den Schador vom Körper reißen ließ, so ist das
nicht besser als Khomeinis neues Diktat.
    Wie überhaupt die Arroganz der Christen, die alles
Islamische schlicht als »mittelalterlich« abtun wollen, schwer erträglich ist.
Denn es ist nicht alles schlecht, was islamisch ist. So einfach ist das nicht.
    Farideh Ahmadian von der Frauenunion erzählt mir von ihren
Erfahrungen in Frankreich, wo sie zusammen mit ihrem Mann vier Jahre lang
gelebt hat. Die tief gläubige 26-Jährige hat auch dort ihren Schador nicht
abgelegt. Zum Hohn und Spott ihrer Umwelt. »In der Mensa haben sie mir sogar
einmal Joghurt auf den Kopf gegossen und an meinem Schleier gerissen.«
    Warum Farideh so daran festhält? »Weil Allah es so will« -
eine Antwort, der wir an irgendeinem Punkt der Gespräche immer wieder und
überall begegneten ... Und Farideh weiter: »Weil ich kein sexuelles Objekt sein
will! Ich möchte von den Männern respektiert werden!«
    Bei Farideh bin ich am nächsten Tag, dem islamischen Neujahrstag,
zum Mittagessen eingeladen. Ihr Mann, ein Physiker, ist auf Dienstreise. Sie
ist Hausfrau und Mutter zweier Kinder. Ihr einstöckiges lichtes Haus liegt im
privilegierten Norden der Stadt. Sie muss nicht, wie so viele in diesem vom
Schah erbarmungslos ausgebeuteten Land, zu acht, zwölf Personen in einem
20-Quadratmeter-Raum hausen.
    Farideh ist sehr heiter an diesem Tag. »Das ist unser
erstes islamisches Neujahrsfest! Vor einem Jahr sprach zu dieser Stunde noch
der Schah, und mein Bruder war im Gefängnis ...« Farideh war eine der Frauen,
die am Schwarzen Freitag in der ersten Reihe gingen, im Arm ihre kleine
Tochter und unter dem Schador ein Küchenmesser.
    Farideh sagt: »Mein Haus ist ein Paradies« und - ich
glaube es ihr. Sie glaubt so tief und ist so unberührt von Zweifeln, dass sie
wahrscheinlich dieses ihr Leben in Hingabe und Demut und dennoch auf ihre Weise
glücklich verbringen wird. Oder wird sie zu denen gehören, die eines Tages
aufwachen, erkennen werden, dass sie betrogen wurden? Und die sich dann auf
ihre alte Kampftradition besinnen?
    Farideh glaubt an das Recht von Frauen auf Berufstätigkeit
und würde doch nie darauf drängen. Sie sieht auch nicht die ökonomischen
Interessen des Irans, der schon jetzt drei Millionen Arbeitslose hat und schon
darum versuchen wird, die Frauen ins Haus zu drängen.
    Und wer soll das verhindern? Das Sagen haben in diesem
Land heute weder die Frauen noch die Arbeiter, noch die Intellektuellen. Das
Sagen haben die Bazaris, die kleinen Kaufleute, und die Religiösen. Mullahs
besetzen alle strategischen Posten, Mullahs sind auch Vorsitzende der neu
gegründeten Arbeiterzellen, in denen übrigens ausschließlich Männer sind,
versteht sich. Obwohl es heute zwei Millionen Arbeiterinnen im Iran gibt.
    Ich verbringe trotz alledem heitere Stunden mit Farideh.
In vielem kann ich sie so gut verstehen, in anderem ist sie entwaffnend: Was
soll ich entgegnen auf das Argument »Allah will es so«?
    An der Tür sagt sie mir zum Abschied dreimal »Allah ist
groß« - Allah o Akbar. Und ich weiß, dass auch sie von Allahs Jüngern betrogen
werden wird. Denn Farideh und
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