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Töwerland brennt

Töwerland brennt

Titel: Töwerland brennt
Autoren: J Zweyer
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Prolog
    Langsam kam er zu sich. Irgendetwas fixierte seine Beine.
Eine zähflüssige Masse. Nass und kalt, aber nachgiebig. Allerdings nicht weich
genug. So sehr er sich auch anstrengte, er kam nicht frei. Er bewegte seine
Zehen, spannte die Muskeln an, schob die Oberschenkel ein kleines Stückchen
vor, dann zurück. Links, rechts. Vor, zurück und wieder vor und zurück.
Dutzende Male. Doch vergebens. Kaum hatte er sich Platz verschafft in diesem
klebrigen Stoff, der seine Gliedmaßen wie ein elastischer Panzer umschloss, und
für einen Moment in seinen Anstrengungen innegehalten, drängte das Feuchte erneut
in den Freiraum, den er sich gerade erst erkämpft hatte, nahm ihn sekundenschnell
in Besitz.
    Schließlich seine Arme. Auf
dem Rücken zusammengehalten mit etwas, das in seine Handgelenke schnitt und
schmerzte, wenn er versuchte, sich zu befreien. Diese Bindung widerstand allen
Bemühungen.
    Der Mund. Fest verschlossen mit einem Klebeband. Unmöglich, zu
schreien. Seine Mundwinkel zuckten, die Lippen aber blieben
aufeinandergepresst, gehalten von dem flexiblen Scharnier. Nur ein leises
Stöhnen, ein tiefes Brummen konnte er aus seiner Kehle pressen.
    Und dann seine Augen! Die Lider ebenso gesichert wie sein Mund. Unfähig,
seine Umgebung zu erkennen.
    Gedankenfetzen, Fragen. Wer war er? Wo war er? Was hielt ihn?
    Der dichte Nebel, der sich in seinem Kopf ausgebreitet hatte,
lichtete sich langsam. Blitze der Erinnerung. Zu kurz, um Klarheit zu bringen.
    Wie war er in diese Situation geraten?
    Ihm war kalt, eiskalt. Seine Fingerspitzen nutzten den wenigen
Platz, den die Fessel ließ, strichen über seinen Rücken und signalisierten,
dass sein Oberkörper unbekleidet war. Aber nicht nur das. Ihm schien, dass er
nackt war. Wo war er?
    Ein Schrei in Hörweite. Drohend. Grell und laut. Nicht menschlich.
Was rief da? Und da! Ein anderes Geräusch. Eine Art Plätschern, ein flüsterndes Gurgeln, scheinbar weit entfernt. Unvermittelt
wieder der schrille Ruf. Dann ein weiterer, wie eine Antwort.
    Minuten wurden zu Stunden. Das
Gurgeln, das Plätschern flüsterte jetzt nicht mehr, sondern schwoll an, kam
näher, war direkt bei ihm.
    Plötzlich verflogen die Nebel in seinem Kopf.
    Plötzlich wusste er wieder, wer er war.
    Und plötzlich erkannte er mit grausamer Klarheit auch, wo er war:
bei den schreienden Möwen im Watt.
    Er riss an seinen Fesseln, ignorierte den stechenden Schmerz, wollte
schreien, um Hilfe betteln, betete darum, sich aus dem Schlick zu befreien, in
dem er bis zum Bauchnabel feststeckte, warf seinen Oberkörper hin und her in
der vergeblichen Hoffnung, sich durch die Bewegung auszugraben, und erstarrte
vor Entsetzen, als die erste kleine Welle der aufkommenden Flut seinen nackten
Körper berührte. Nur ein Augenblick, dann war das Gefühl vorbei. Das Nass zog
sich zurück. Hatte er sich geirrt? Träumte er gar? Aber nur wenige Sekunden
später holte ihn die nächste Woge unbarmherzig in die Realität zurück. In seiner Panik schien ihm, dass das Gurgeln zu einem
dröhnenden Brausen gewachsen war und das erneut gegen seinen Körper schwappende
Wasser ihn wie ein Tsunami überspülte. Tatsächlich
kroch das Meer nur heran, umspielte für Minuten seinen Nabel, schob sich dann
langsam höher, bis es seine Brust erreichte. Er verstärkte seine Bemühungen,
kämpfte um seine Existenz, biss sich fast die Zunge ab bei dem Versuch, das Klebeband
in die Mundhöhle zu ziehen, um sich von ihm zu befreien. Vergeblich.
    Als ihm das Salzwasser bis zum Kinn stand, ergab er sich seinem
Schicksal und begann zu weinen. Tränen, die nicht abfließen konnten, füllten
seine Augen. Aber das Salzige, was er schmeckte, waren keine Tränen. In einer
letzten Anstrengung reckte er den Hals so weit nach oben, wie es nur eben ging, weg von der See und dem Leben entgegen.
Atmen. Luft.
    Ob es nun das Salzwasser war, das
ihm ins Gesicht spritzte, ob sich die Tränenflüssigkeit doch einen Weg
am Klebeband vorbei ins Freie gebahnt hatte, die Feuchtigkeit lockerte das Band
und gab zunächst einen kleinen Spalt frei, kurz darauf fiel es sogar ganz ab.
    Und in dem Moment, als er tief einatmete, bevor die Flut zum ersten
Mal in seine Nasenlöcher kroch, genau in diesem Augenblick konnte er die Augen
wieder öffnen, sah das nächtliche Juist in unerreichbarer Ferne, blickte dann
in einen klaren Sternenhimmel von
unbeschreiblicher Schönheit.
    Unmittelbar danach war das Wasser über ihm und die Nordsee nahm von
ihm Besitz.

1
    Etwa zwei
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