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Schwarzer, Alice

Schwarzer, Alice

Titel: Schwarzer, Alice
Autoren: Die grosse Verschleierung
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arbeiten, sonst bringen wir dich um.
    Sie versuchte, mit Männern aus ihrem Wohnhaus zu reden.
Sie weigerten sich, mit ihr zu sprechen. »Diese Leute haben reaktionäre
Ansichten«, sagt Khalil und knackt dabei nervös mit den Fingerknöcheln. »Man
kann mit denen nicht normal reden.« Khalil vermeidet es jetzt, sich länger in
ihrer Wohnanlage aufzuhalten, und versucht, sich unbemerkt zur Arbeit und
wieder nach Hause zu schleichen.
    Die neue, im April gebildete Regierung wird eine
endgültige Verfassung entwerfen, die die provisorische ersetzt. Das umstrittenste
Thema wird das Familienrecht sein - und wie weit es von islamischen Glaubensgrundsätzen
diktiert wird. Der Kern des Problems liegt in dem Übergangsgesetz, auf das sich
Iraks führende Politiker geeinigt hatten und in dem steht, dass der Islam
»eine Quelle des Rechts« für den Irak sei. Die weltlichen Irakerinnen
verstehen darunter, dass er eine der Quellen ist, aber nicht die einzige. Für
die schiitische Führung bedeutet es, dass der Koran die Hauptquelle des Rechts
ist.
    Davon, wie dies in der Verfassung formuliert werden wird,
wird abhängen, wie es um die Rechte der Frauen steht. Ob sie beispielsweise ein
gesetzlich verbrieftes Recht auf Berufstätigkeit haben werden, auch wenn der
Ehemann dagegen ist. Oder ob es das Recht eines Mannes sein wird, mehr als eine
Frau zu haben. Den Islam zur Instanz in solchen Fragen zu erheben würde
bedeuten, die Auslegung des Familienrechts den Geistlichen zu überlassen. Die
>Organization of Women's Freedom in Iraq<: »Die Scharia bedeutet, dass
Frauen der wenigen Rechte beraubt werden, die sie unter dem früheren
Baath-Regime hatten.«
    Die Verfassung muss von zwei Dritteln der Nationalversammlung
gebilligt werden, sodass der dominierende Schiitenblock Koalitionen mit
weltlichen Gruppierungen eingehen muss. Diese Gruppen werden ihre eigenen
Interessen verfolgen, nur einige wollen Frauenrechte zum zentralen Thema
machen. »Es ist ausgeschlossen, dass wir ein fundamentalistisches Regime in
Bagdad akzeptieren als Preis für mehr Autonomie«, verspricht zum Beispiel ein
ranghoher Vertreter der Kurden. Ob er sein Versprechen halten wird?
    2004 gab >Women for Women International<,eine
landesweite Umfrage unter irakischen Frauen in Auftrag. Sie ergab: 94 Prozent
aller Frauen sind für die gesetzliche Absicherung der Rechte für Frauen, 95
Prozent sprachen sich gegen eine Einschränkung der Bildungschancen aus, 84
Prozent fordern das Recht, über die endgültige Verfassung abzustimmen. 57
Prozent sind gegen eine Einschränkung der Berufstätigkeit von Frauen, 80
Prozent treten für unbeschränkte Beteiligung von Frauen an politischen Gremien
ein.
    Die Realität sieht anders aus. Im überwiegend schiitischen
Süden des Landes wird die Scharia an den Gerichten bereits routinemäßig
angewendet - trotz der noch geltenden Gesetze aus der Saddam-Ära, die Frauen
mehr Rechte einräumten, sagt Aseel Abdul Khaleq, eine Anwältin in Familienrecht.
»Dort gelten eigentlich dieselben Gesetze wie in Bagdad, dennoch wird die Scharia
praktiziert. Und die nächste Regierung«, fürchtet Khaleq, »wird die Scharia im
ganzen Land anwenden.«
    Sogar in Kirkuk, einer Stadt im Norden, in der es eine Vielfalt
an Religionen gibt, wurden jüngst Frauen mit Säure besprüht, weil sie sich
»nicht anständig bedeckt« hätten, berichtet Songul Chapook. Die Politikerin aus
Kirkuk hat selbst schon mehrere Mordanschläge überlebt. Sie hat schließlich
nachgegeben und trägt jetzt ein Kopftuch, in Grellrosa. »Wir müssen die Geistlichen
aus der Regierung vertreiben«, fordert sie. »Wenn wir jetzt nicht handeln,
könnten wir unsere Rechte für immer verlieren.« ■ EMMA
3/2005
     
    ANNA WEISS / IRAN 2010: DIE
VERZWEIFELTEN
     
    »Die iranische Frauenbewegung«, sagt Shadi Sadr,
Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin aus Teheran und jetzt im Exil in
Deutschland, »die iranische Frauenbewegung ist schockgefroren.« Dabei waren die
Frauen bei den Demonstrationen gegen die Wahlfälschungen im Juni 2009 die
treibende Kraft des Protestes. Über drei Millionen Menschen gingen damals auf
die Straße. Noch nie waren so viele protestierende Frauen zu sehen, noch nie
hatten Frauen so stark das Bild Irans im Ausland geprägt. »Sie waren es, die
den Ton angaben, die Parolen ausgaben und die Proteste anführten«, erzählt der
Angehörige einer Botschaft in Teheran.
    Weil das Regime befürchtet hatte, dass die Proteste am 12.
Juni 2010, ein Jahr nach den
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