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Schwarze Tränen: Roman (German Edition)

Schwarze Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Finn
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Lukas wusste auch, wer dafür verantwortlich war, denn neben ihr hockte Abraham in seiner Homunkulusgestalt. Sein puppenhaftes Leinengewand war von Brandlöchern durchsetzt, und die goldene Armillarsphäre um seinen Hals glich einem Klumpen geschmolzener Schlacke. Der Zauberer hielt einen Finger Millepertias umfasst und sah erschöpft zu ihm auf. »So habt Ihr es also geschafft?«
    Lukas lächelte freudlos. »Ich habe Mille von ihrem Höllenpakt befreit. Wenigstens das ist mir gelungen.«
    »Ja, ich spüre ebenfalls, dass der Teufel sein Wort gehalten hat«, sagte Abraham halb zu sich selbst. »Und ich denke, den Musikern geht es ebenso.«
    »Nein, ich selbst bin an Milles Stelle einen Pakt …« Lukas beendete seinen Satz nicht, denn plötzlich fiel es ihm wieder ein. Natürlich! Sie alle hatten ja diese neue Vereinbarung mit Mephistopheles getroffen. Hatte ihn der Teufel am Ende etwa wieder reingelegt? Hätte er gar keinen Pakt mit ihm eingehen müssen?
    Lukas schüttelte den Gedanken unwirsch ab. Egal. Welche Bedeutung hatte das alles schon?
    Er fühlte sich unfähig, Freude zu empfinden. Oder Furcht. Oder sonst irgendetwas. In ihm war bloß Leere. Er kniete nieder und griff nach Millepertias kalter Hand. »Ich hoffe so sehr, dass du deine Tochter wiedersieht«, flüsterte er ihr zu. Vor Schmerz und Trauer wollte er sich abwenden, als sich ihre Hand plötzlich in der seinen zu regen schien. Er keuchte, auch Abraham erstarrte, und beide starrten verblüfft Millepertia an. Plötzlich bäumte sich ihr Leib auf und sog rasselnd Luft in ihre Lungen. Ihre Augen öffneten sich.
    »Mille? Mille!« Aufgewühlt hielt Lukas ihren Kopf. »Du
lebst?
Mein Gott, wie ist das möglich?«
    »Ich weiß es nicht.« Ihre Stimme klang schwach, doch ihre grünen Augen schimmerten dankbar. »Aber ich weiß, was du für mich getan hast.«
    Lukas war sprachlos. Stattdessen liefen ihm vor Freude die Tränen über das Gesicht. Viel Zeit verstrich, ehe er flüsterte: »Ich hätte dir das Paradies wirklich gegönnt. Aber so ist es mir deutlich lieber.«
    Millepertia lächelte gerührt. »Dann werde ich bis dahin einfach hiermit vorliebnehmen.« Sie zog seinen Kopf zu sich und küsste ihn.

Epilog
    L auter Applaus brandete auf. Lukas stand im Scheinwerferlicht auf der Bühne, hielt die beiden großen Bälle in der Hand, deren Farben er mittels eines Camouflage-Tricks von Grün zu Blau und dann zu Rot verändert hatte, und verneigte sich. Zuvor hatte er einen von Houdini inspirierten Entfesselungstrick aufgeführt, war an einem Seil hochlevitiert, hatte die üblichen Löffel verbogen, Goldfische in klingende Münzen verwandelt und sich selbst auf dem Höhepunkt seiner Aufführung unter einem fallenden Tuch verschwinden lassen. Und das alles natürlich ohne echte Zauberei, sondern durch ehrlich erworbene Trickserei. Das Publikum schien mehr als zufrieden zu sein, und er war es auch. Alles lief bestens.
    Es war jetzt das dritte Mal, dass er hier auftrat. Das Varieté war in einer alten Kirche in Ost-Berlin untergebracht, die bereits vor der Wiedervereinigung sanierungsbedürftig gewesen war. Ein angesehener Verein zur Förderung von Kunst und Musik hatte die Räumlichkeiten schließlich erworben und sie entsprechend umgebaut. Und noch immer konnte er es nicht fassen, dass es ihm so rasch gelungen war, zum Jahresende noch ein Engagement zu finden. Gut, er war nur einer von vier Bühnenzauberern, die das Publikum an diesem Abend unterhielten, und man hatte ihn auch nur genommen, weil einer der anderen Künstler krank geworden war. Aber das war im Ergebnis nicht entscheidend. Jetzt und hier saßen vor ihm über einhundert Zuschauer, und er hatte den Eindruck, als klatsche das Publikum bei ihm besonders laut. Gut gelaunt warf er die Bälle nach hinten und verwandelte zum Abschluss ein Taschentuch in eine Blume, die er einer dunkelhaarigen Mittsechzigerin in der Reihe ganz vorne zuwarf. Seiner Mutter.
    Dass sie hier war, erschien ihm noch immer wie ein Wunder. Es war das erste Mal, dass er seine Zaubershow in ihrer Anwesenheit aufführte. Millepertia hatte darauf bestanden, dass er sie einlud, und nun saß sie direkt neben der Hexe, applaudierte besonders laut, und die beiden Frauen tuschelten. Und was das Schönste war: Seine Mutter sah ihn mit einem Blick an, in dem Stolz lag. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sie ihn je so angesehen hatte. Oder hatte er das bloß vergessen?
    Dankbar warf er ihr und Millepertia eine Kusshand zu und formte
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