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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman
Autoren: Dean Koontz
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umschlug, stolperte ich, stürzte und drehte mich auf den Rücken. Ich hob die Hände, um die gefräßigen Wesen abzuwehren, doch der Himmel sah wieder aus wie immer. Nichts flatterte durch die Luft außer zwei Watvögeln in der Ferne.
    Ich war wieder in Roseland, wo die Sonne untergegangen und der Himmel fast vollständig violett geworden war. Die einst lodernden Galeonen waren zu einem trüben Rot niedergebrannt.
    Nach Atem ringend, kam ich auf die Beine und beobachtete eine Weile, wie das Himmelsmeer schwarz wurde und die letzten Funken der Wolkenschiffe in den aufgehenden Sternen versanken.
    Zwar fürchtete ich mich nicht vor der Nacht, doch die Klugheit gebot, mich nicht unnötig lange darin aufzuhalten. Deshalb ging ich weiter auf das Eukalyptuswäldchen zu.
    Der verwandelte Himmel und die bedrohlichen Flügelwesen hatten mir ebenso etwas zum Nachdenken gegeben wie die Frau und ihr Pferd. Da mein Leben allzeit höchst ungewöhnlich ist, brauche ich mir keine Sorgen zu machen, es könnte mir einmal an Denkanstößen mangeln. Was das angeht, werde ich bestimmt nie Mangel leiden.

2
    Nach dem Erlebnis mit der Frau, dem Pferd und dem gelben Himmel konnte ich mir nicht so recht vorstellen, in dieser Nacht Schlaf zu finden. Ich lag im gedämpften Lampenlicht da und merkte, wie meine Gedanken düsteren Pfaden folgten.
    Wir sind schon begraben, wenn wir geboren werden. Die Welt ist ein Ort voll bereits belegter und potenzieller Gräber. Das Leben ist das, was geschieht, während wir auf unsere Verabredung mit dem Leichenbestatter warten.
    Obwohl das nachweisbar stimmt, wird diese Erkenntnis genauso wenig auf Pappbecher gedruckt wie der Spruch Kaffeetrinken kann tödlich sein .
    Schon bevor ich nach Roseland gekommen war, hatte ich mich in einer gedrückten Stimmung befunden. Aber die würde sich bestimmt bald heben, da war ich mir sicher. Bei mir ist das immer so. Egal, welches Horrorszenario sich einstellt – ich bin nach einer kleinen Weile wieder so beschwingt wie ein Luftballon im Sommerwind.
    Wieso ich so beschwingt bin, weiß ich auch nicht. Es könnte sich allerdings um einen entscheidenden Aspekt meiner Lebensaufgabe handeln. Wenn mir irgendwann klar ist, wieso ich selbst in der dunkelsten Dunkelheit noch Humor aufbringe, wird der Leichenbestatter womöglich meine Nummer wählen, und dann ist die Zeit gekommen, mir einen Sarg auszusuchen.
    Eigentlich erwarte ich, gar keinen Sarg zu bekommen. Das himmlische Amt für Lebensthemen – oder wie immer es heißen mag – scheint beschlossen zu haben, dass meine Reise durch diese Welt in besonderem Maße von Absurdität geprägt wird – und von der Sorte Gewalt, auf die die Gattung Mensch so stolz ist. Deshalb werde ich wahrscheinlich irgendwann von einem wütenden Mob aus Antikriegsdemonstranten in Stücke gerissen und auf ein Freudenfeuer geworfen werden. Oder ich werde von einem Rolls-Royce überrollt, an dessen Steuer ein Fürsprecher der Armen sitzt.
    So sicher ich mir auch war, nicht einschlafen zu können, schlief ich dann doch ein.
    Es war vier Uhr an jenem Februarmorgen, als ich tief in einem verstörenden Traum von Auschwitz versunken war.
    Meine typische Beschwingtheit war offenbar noch nicht ganz wieder eingetreten.
    Ich erwachte durch einen vertrauten Schrei, der hinter dem halb offenen Fenster meines Apartments im Gästehaus von Roseland erklang. Silberhell wie die Flöten in einem keltischen Lied spann er Fäden aus Kummer und Sehnsucht in die Nacht und den Wald. Noch einmal erklang er näher, dann ein drittes Mal in größerer Entfernung.
    Die klagenden Laute waren immer nur kurz, doch als sie mich an den vergangenen zwei Tagen kurz vor der Morgendämmerung geweckt hatten, hatte ich nicht mehr einschlafen können. Sie waren wie ein elektrischer Strom im Blut, der durch jede Arterie und Vene fuhr. Noch nie hatte ich ein einsameres Geräusch gehört, und es flößte mir einen Schrecken ein, der mir unerklärlich schien.
    Diesmal war ich also aus einem Vernichtungslager aufgewacht. Ich bin zwar kein Jude, aber in meinem Albtraum war ich einer gewesen und hatte furchtbare Angst gehabt, zweimal zu sterben. Das zweimal zu tun, war mir im Schlaf völlig logisch vorgekommen, im Wachzustand jedoch nicht, und der gespenstische nächtliche Schrei entzog dem lebhaften Traum sofort alle Luft, woraufhin dieser sich auflöste.
    Dem derzeitigen Herrn von Roseland und allen zufolge, die für ihn arbeiteten, stammte der verstörende Schrei von einem Seetaucher. Die
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