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Schwarze Blumen auf Barnard Drei

Schwarze Blumen auf Barnard Drei

Titel: Schwarze Blumen auf Barnard Drei
Autoren: Alfred Leman
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ihn vor dem WKK-Portal in Baikonur, die Glastüren hatten sich schon dienstwillig vor ihm geöffnet, aber eine Minute lang stand er nur da wie eine Skulptur, mit geschlossenen Augen, sich sammelnd; in diesen Sekunden verwandelte er sich in eine Art charmanten Bulldozer. Wirklich gelang es ihm innerhalb der nächsten Stunde, den Koloß in Bewegung zu setzen, in unzähligen Büros flimmerten Nachrichten über die Displays, in denen die Signatur seiner Identikatskarte eine Rolle spielte. Dies, ein wenig Glück, ein wenig Zufall und die Mai-Aquatiden bewirkten, daß man Tschuk nach einer weiteren halben Stunde eine kleine weiße Karte aushändigte, den Scheck, dessen magnetische Signatur ihn für vier Jahre zum Ingenieur-Assistenten in der Mannschaft des Juli-Projekts Uranus – Saturn nominierte.
      Nach vier Jahren kehrte der Liner planmäßig in den irdischen Orbit zurück, und ein Gleiter holte die Mannschaft aus der Umlaufbahn auf den heimatlichen Beton von Baikonur herab. Tschuk, als er an der Reihe war, trat auf die Gangway hinaus, unten kreisten Radarantennen. Pfützen glänzten auf dem Beton, es war gut, diese Luft wieder zu atmen, weit voraus stieß die vertraute Silhouette des Büros in den Himmel hinauf, und man ahnte dort Grün von Gras und Bäumen.
      Es war ein so gutes Gefühl, daß für diesen Moment andere, großartige Bilder verblaßten, Bilder von Saturn und Phoebe, von in fremdem Licht erglühenden Antennengespinsten, die auch seine Kraft und seinen Willen in sich trugen, Bilder erfüllter Träume. Aber vorn, ein paar Schritt neben der Gangway, parkte ein Pulk von Limousinen mit einladend geöffneten Türen, und Leute standen dort. Tschuk begriff, daß es sich um ein Komitee handelte, angetreten zu ehrenvollem Empfang. So ein Unsinn, dachte er, während er sich anschickte, die ungewohnten Stufen hinabzusteigen, doch der Gedanke blieb plötzlich stecken in seinem Hirn, denn unter den Köpfen dort unten erblickte er einen mit so leuchtend flachsigem Haar, wie er es nur von einem Mann kannte, von Brandstätter.
      Sie redeten gleichzeitig aufeinander ein, als sie sich gegenüberstanden, irgendwelche lauten, herzlichen, pompösen und nichtssagenden Worte, bis Brandstätter plötzlich innehielt und Tschuk so musterte, als sehe er einen Fremden. In diesem Augenblick bemerkte Tschuk ein Kind, das sich an Brandstätters Beine drückte, ein hübsches kleines Mädchen mit blauen Augen und flachsblonden Rattenschwänzchen über den Ohren. Von unten herauf lächelte es ihn an, das Lächeln enthielt schon den Keim fraulicher Anmut und entblößte die Brandstättersche Zahnlücke. Tschuk mußte sich abwenden, er wußte nicht, warum. Der Wirbel des Zeremoniells trieb die Männer auseinander, Tschuk fühlte die Sympathie, die aus Brandstätters Hand in ihn herüberfloß, als sie sich verabschiedeten.
      Zwei Stunden später schnappte der Bachen des Büros hinter den Heimkehrern zu. Abrechnungen, Formulare, Berichte, Mißverständnisse, Umständlichkeiten; der Koloß fraß Zeit, zermalmte Gefühle und verdaute sie zu magnetischen Engrammen. Aber Tschuk vergaß sein Versprechen nicht. Nach ein paar Tagen stahl er sich eines Abends die Zeit für die Fahrt zum Servicepunkt der Post, zu einer Stunde, in der er rechnete, daß Asja zu Hause war. Schlangen vor den Inputs, er stopfte einen Keks in den Mund und stellte sich an. Auf einmal stiegen vergessen geglaubte Empfindungen aus der Tiefe wie Wasser durch einen Spalt im Eis, er erinnerte sich an sibirisch gemusterte Kissen, Gerüche, dieses Mädchen dicht neben Brandstätters Knie und die väterliche Hand, die beruhigend mit den winzigen Zöpfen gespielt hatte, an sibirischen Schnee, an eine Stimme. Der Eispanzer über dem Wasser brach auf.
      Einige der anstehenden Leute erkannten Tschuk, Höflichkeit und Respekt spülten ihn rascher vor den Schirm und die Tastatur, als ihm lieb war.
      Er tippte die Chiffren der Adresse ein, dann: – ernest tschuk an asja babadi – . Der automatische Beantworter hieß ihn warten. Nach einigen Sekunden flitzten zwei Zeilen über das Display: – hallo, ernest, ich dachte, daß du jetzt bald zurückkehren würdest – bist du gesund? – . Er erwartete noch etwas anderes. Als der Satz ausblieb, schrieb er: – wir haben uns lange nicht gesehen –, plötzlich wußte er auf den Tag genau, wie lange. Er zögerte eine Sekunde, ob Asja diesen Satz nun endlich schicken würde, auf den er wartete, aber dann schrieb er ihn doch
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