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Schwarze Blumen auf Barnard Drei

Schwarze Blumen auf Barnard Drei

Titel: Schwarze Blumen auf Barnard Drei
Autoren: Alfred Leman
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gefährlich die Reise für ihn war.
      Landung, zwanzig Minuten im Vieretagenzug, Tschuk bemerkte unversehens, daß es schon wieder Abend war, wie anders der Himmel aussah und wieviel Schnee es hier noch gab! Ein Stückchen stapfte er forsch da hindurch, direkt durch richtigen frischen Schnee. Lift, Korridore, Türen, dann waren nur Asjas Eltern da. In der Stube ein paar Minuten mit: Wo, warum und wie geht’s? Asja komme erst in einer Stunde zurück, und der Schnee wolle überhaupt nicht weichen in diesem Jahr.
      Asja Babadi war zwanzig und Lehrerin für Computersprachen in der Zentralschule des Rayons. Tschuk kannte den Weg dorthin und fuhr Asja entgegen. Worauf er dann aber traf, war nicht Asja, sondern drei Kerle, die enorm gut aussahen und die etwas fast Unsichtbares in ihrer Mitte sehr weltläufig bekomplimentierten, Asja nämlich, sein Mädchen, das so klein und dünn war neben diesen Kerlen, daß man es kaum bemerkte. Ein fatales bißchen »Hallo!« als das Paar einander erkannte. Das ist der und der, und dieser heißt so und so, und das ist Ernest Tschuk. Was in Tschuks Knien und Fingergelenken so erregend und angenehm zu summen begonnen hatte, während er Asja entgegenging, wandelte sich zu einer ganz anderen Melodie.
      Aber dann, als sie in Asjas Zimmerchen einander in den Armen lagen, sich küßten, kaum eine Spanne weit auseinanderwichen, um sich zu betrachten und sogleich weiterzuküssen, und als Tschuk die Funken in Asjas Augenschlitzen entdeckte, da schien alles wieder gut und wie ehedem. Es schien so. In Wahrheit ereignete sich jetzt die wirkliche Katastrophe: Die so mühsam gewonnenen Denkergebnisse zu dem Satz »Seien Sie vernünftig!« verflüchtigten sich, ohne daß Tschuk sie wahrgenommen hätte. Man vergißt niemals etwas ganz.
      Sie saßen dann beieinander auf der alten Holzbank mit den bunten, sibirisch gemusterten Kissen und sagten sich all die abgegriffenen, wichtigen Nichtigkeiten, über die Verliebte reden, wenn sie gerade bei Atem sind. Sie redeten ein bißchen zuviel und zu beflissen an etwas anderem vorbei, das zu berühren Asja Babadi zu klug und Ernest Tschuk zu verwirrt und zu müde war. Unter dem lieblichen Geplätscher der Mädchenstimme sank Tschuks Kopf auf Asjas Schoß hinab, Asja streichelte seine schwarzen, widerborstigen Haare, bis die sich plötzlich ihren Händen fügten. Die vorangegangenen fünfzig ruhelosen Stunden fielen über den Mann her und rissen ihn in abgrundtiefen Schlaf.

      Am anderen Tag und wie von selbst fand ein jeder die Wahrheit des anderen heraus. Ernest hatte nichts Schwererwiegendes vermocht, als um Asjas willen auf die Vierjahresreise zu verzichten, nur um diese vier Jahre in lauter Sechswochenscheiben Orbitdienst zu zerschneiden, und Asja sah die Zwischenräume zwischen diesen Scheiben als zu dünn an, um ihre Liebe und ihre Erwartungen auf das große Stück gemeinsamen Lebens mit diesem Mann darin unterzubringen.
      »Bist du öfter mit solchen Kerlen zusammen?« fragte er.
      »Was für Kerle? Glaubst du, daß ich immer allein bin und niemand anderen sehe und daß ich mit gefalteten Händen auf dich warte, immerfort, wenn du nicht da bist?«
      »Willst du mich haben?« Sie sagte: »Ja.«
      »Wann werden wir heiraten?« fragte er trotzig.
      »Ernest, Lieber«, sagte sie, »sei vernünftig.« Da war es wieder, dieses abscheuliche Wort. Er sah Asja plötzlich winzig und wie in weiter Ferne.
      Tschuk konnte sich später niemals mehr erinnern, was sie an diesem Tag noch getan und worüber sie noch gesprochen hatten. Irgendwann waren sie über den Schnee gegangen, der nun schon festgetreten und unansehnlich geworden war, zum Zug. »Wir werden uns schreiben, über Telex«, hatte er gesagt, und sie mochte geantwortet haben: »Ja. Manchmal.« Aber als er sie ganz von oben, aus der vierten Etage des Zuges, klein, dünn und verloren dort unten hatte stehen sehen mit einem Tüchlein zum Winken in der Hand und als die sich unerbittlich dazwischenschiebende Distanz sie immer kleiner und dünner und verlorener hatte werden lassen, während der Zug anfuhr, hatte er ihr zugeschrien: »Ich komme wieder! So ein Unsinn, Asja! Ich komme wieder!«
      Er kam wirklich wieder. Nach vier Jahren.
      Zunächst nahm er eine Maschine nach Moskau, nachdem er Asja verlassen hatte, fuhr von Domodedjewo ins Zentrum zum MKK, der WKK in Baikonur übergeordneten Planungsbehörde, und verbrachte dort einen betriebsamen Tag. Der nächste Morgen dann sah
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