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Schwarze Blumen auf Barnard Drei

Schwarze Blumen auf Barnard Drei

Titel: Schwarze Blumen auf Barnard Drei
Autoren: Alfred Leman
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hintereinander, daß die Kontur der Gruppe zu Grau zu vergehen schien.
      Dann sah er Anas Tränen, das glitzernde Rinnsal quer über dem Mal, dem Chip neben der Nase. Eine hitzige Woge stürzte über ihn hin. Seine Finger schienen von selbst zu handeln, als sie die Bajonette ihres und seines Helms lösten. Die Helme klappten nach hinten weg, und die nackten Gesichter und Lippen flogen aufeinander zu. Eine Weile zischten nur die Ventile, Giron und Ana keuchten ein bißchen, wenn ihnen die Luft ausging, denn die Luft war nur dünn, aber sie merkten das nicht, denn während dieser Minute umhüllte sie eine unsichtbare Blase, schloß sie aus von dieser Welt, und sie nahmen nichts anderes mehr wahr als sich selbst.
      Was die zwölf erregt hatte, sprang auf die wimmelnde Menge über. Zuerst auf den Turm. Eine Erstarrung, ein Anhalten von Atem, Pupillen, die sich auf einen Punkt richteten, auf sie, das Paar…
      Mit sanfter Gewalt machte sich Giron los von Ana und schuf gerade so viel Abstand zwischen ihren Gesichtern, daß er reden konnte. Er sagte: »Sieh dir das an!«
      Giron wunderte sich nicht, mit welcher Selbstverständlichkeit sich Ana der schwarzen Menge zuwandte und ihre Blicke über das Gebrodel hinweggleiten ließ. Seine eigenen Augen zuckten zwischen den ihren und den Schwarzen hin und her, erwartungsvoll, wie sie sehe und begreife, was er selbst zu sehen vermochte und begriff: daß eine Nachricht umging unter den Schwarzen. Struktur. Wellenringe, von einem Zentrum sich ausweitend, dem Turm. Etwas Leichtes ging um. Eine gute Nachricht. Eine Nachricht über Ana und Giron. Endlich lief ein Schauer über Anas Gesicht. »Nun?« fragte er gespannt.
      Auf dem Gesicht der Frau blieb nur blutlose Blässe zurück, und ihr Körper erstarrte. Sekunden verstrichen, während er Ana nur ansah, gelähmt von Fassungslosigkeit. Dann begann er zu sprechen, sogleich innehaltend, um ihr den Helm über den Kopf zu stülpen. Er preßte sie fest an sich, lauschte, ob die Ventile arbeiteten, und redete zugleich auf Ana ein. Die Schwarzen hätten sie, die Menschen, immer als einzelne gesehen, jeden vom anderen abgesondert durch leeren Raum, sooft man einander begegnete. Das sei etwas Unerhörtes in ihrer Welt. Zwang, Zwiespalt als Möglichkeit zwischen einzelnen… Wie rüde ging miteinander um, was ihrem Lande angeflogen war. Etwas sei aufgekommen unter den Schwarzen: Furcht. Nein, vor den Menschen wohl nicht, aber vor ebendieser Möglichkeit, die sie nicht kannten. Furcht, daß sie Fuß fasse wie eine Infektion. Nein, auch nicht Furcht. Wie sollten sie ahnen, was das ist?
      Giron wußte nicht, woher ihm die Worte kamen, diese beruhigenden, allzu einleuchtenden Worte, mit denen er umging, als sei er dessen sicher, was sie besagten. Sie waren auf einmal da, und er wußte nur, daß sie seine verworrenen Hoffnungen nährten. Er fahndete nach Zeichen des Verstehens in den Augen Anas, aber die waren nur weit und dunkel und ausdruckslos.
      »Schau dir das an!« sagte er eifernd vor gutem Willen und Hilflosigkeit. »Sie begreifen, daß wir nicht immer einzeln sein müssen. Sie schauen auf uns. Auf uns beide. Sie…«
      Ana sagte: »Es war also ein Experiment. Salman Girons ausgeklügeltes Experiment.«
      »Was?«
      »Daß wir uns küßten. Wie du mich küßtest. Hier. Vielleicht war das alles ein Experiment: Ana Reis und Salman Giron.« Ana musterte ihn und langte zu ihm hinauf, um auch ihm den Helm überzuklappen.
      Giron neigte sich, um ihrer Mühe entgegenzukommen, und fing ihren kalten, forschenden Blick hinter dem Glas, ob die Ventile liefen. Er glaubte, der Helm bestehe aus Eis.
      »Ja. Nein«, stammelte er unglücklich. »Ich tat das für dich. Für die Schwarzen da draußen, für Tschuk, Rahel, Boris, für die alle… Man muß etwas tun. Einmal wenigstens muß man was tun… Und für Jermakow… Ich tat es nur für dich…« Seine Rede verebbte. Er spürte nur noch, wie knochig sich die Buckel in seinem Gesicht erhoben, ihre fleckige Röte, die ineinanderfließenden Sommersprossen, seine Häßlichkeit. »Ana«, sagte er, »Ana! Ich weiß doch gar nicht, ob das alles so ist. Es wäre so wunderbar einleuchtend. Wir könnten darüber nachdenken, was wir zu tun hätten.«
      Zeit verstrich, während der Giron nur wahrzunehmen vermochte, wie elend ihm war. So entging ihm, auf welche Weise Ana durch das Glas seines Helms hindurchschaute mitten in dieses häßliche Gesicht, und er erwachte erst wieder,
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