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Schwarze Blüte, sanfter Tod

Schwarze Blüte, sanfter Tod

Titel: Schwarze Blüte, sanfter Tod
Autoren: Harry Thürk
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Tabakrauch in meine Richtung und hielt mir ein Ticket hin: »Zehn Dollar, Mistah, hinsetzen, warten, Hana kommt. Tanzt nicht. Singt. Aber singt unvergeßlich. Viel zu gut für zehn Dollar!«
    Sie warf einen Blick auf ihre Gummiuhr: »Noch fünfzehn Minuten. Hana singt acht mal am Tag.«
    Sie wedelte mit dem Ticket, bis ich ihr die zehn Dollar zwischen die Finger steckte, und dann ging ich in den geschickt unter hohen Laubkronen im Schatten angeordneten Zuschauerkreis, hockte mich auf einen Bambusschemel und gönnte mir eine der superlangen »Southern’s«, die ich im Royal erstanden hatte, bevor ich aufbrach.
    Vom süßen Inselvirginiaduft umfächelt verbrachte ich den Rest der Hula-Darbietung ziemlich hingerissen, in der Hoffnung, daß niemand mir meine Gedanken im Gesicht würde ablesen können.
    Danach traten zwei junge Männer auf, die mit vielen Gebärden und kräftigen Hieben den Eindruck erwecken wollten, sie trügen einen finsteren Zweikampf auf Leben und Tod aus. Das sollte wohl den Widerstand mutiger Insulaner gegen die Mächte des Bösen darstellen, eben so, wie Widerstand immer dargestellt wird, wenn man ihn überlebt hat ohne aufzufallen.
    Wer die Mächte des Bösen waren, wurde nicht gesagt, man konnte es sich aussuchen. Folklore pluralistisch. Anschließend legten ein halbes Dutzend Darsteller das berühmte Kreuz aus jeweils zwei nebeneinanderliegenden Bambusstangen auf der Bühne aus. Die Bambusse wurden dann im Rhythmus einer Trommelgruppe zusammengeschlagen, während junge Mädchen und Männer abwechselnd in die Räume zwischen den Stämmen hüpften und wieder heraus, stets in Gefahr, von den Dingern die Fußknöchel gebrochen zu bekommen – eine Darbietung, die man nicht nur auf den Inseln, sondern auch auf dem Festland sehen konnte, in China ebenso wie in Malaysia, in Taiwan oder auf den Philippinnen. Bei uns zu Hause, in Aberdeen, wo ich meine Dschunke habe, kann man um die Zeit des Drachenbootfestes das Geklapper der Bambusstangen meilenweit hören.
    Eigenartigerweise stritt man sich nicht, wer dieses Spiel erfunden hatte, die Klugen leiteten daraus die These ab, alle Völker des Pazifik und seiner Anrainerstaaten seien eben Brüder und hätten annähernd gleiche Traditionen. Die Dummen erkannte man daran, daß sie mit eingegipsten Fußknöcheln herumliefen, weil sie versucht hatten, es nachzumachen.
    Als die Knochentour vorbei war, herrschte eine Minute lang feierliche Ruhe. Dann flitzten ein paar Ukelele-Boys auf die Bühne, ein Trommler und ein Muschelhornbläser. Zuletzt erschien, »Back to Moana« singend, Hana Teoro.
    Ich erkannte sie an der Stimme, die auch in Hongkong aus tausend Lautsprechern kam, in Kneipen und Basaren, in Plattenläden und sogar in Restaurants wie dem Hibiskus , das meine Mutter in Wanchai betrieb. Eine unverwechselbare Stimme. Nicht zu kräftig, eher etwas kindhaft, aber auch nicht künstlich auf diesen Lolita-Sound getrimmt, der sich heute so gut verkauft, sondern von einer echten, hellen Sanftheit, die jeden Zuhörer einfängt.
    Ich gab mich der Darbietung hin. Die junge Frau war ansehnlich. Eines von diesen Geschöpfen, die ohne Schminke und Putz am besten aussehen. Von meinem Platz aus konnte ich erkennen, daß sie hellblaue Augen hatte. Aber sie war zweifellos eine Insulanerin. Jede Bewegung verriet das, jedes Wort, das sie in der Sprache ihrer Vorfahren sang, einer an Vokalen sehr reichen Sprache, die zum Singen förmlich einlädt. Wesley Blairs Paradesängerin war ein Ereignis.
    Sie sang »Goro Goro N’e« auf eine Art, daß neben mir die japanischen Touristen mit allen Gliedern zu zappeln begannen. Ich selbst erwischte mich dabei, daß ich den unwiderstehlichen Takt mit den Fußspitzen mitschlug.
    Auf drei Lieder war ihre Darbietung eingestellt, und natürlich kam zum Schluß, nach einer von Beifall erfüllten Pause, das »Aloha Oè«, bei dem die Ukelele-Boys die Saiten schwingen ließen, bis die Seelen zu schmelzen begannen. Der alte, in der ganzen Welt bekannt gewordene Song mit dem Lebensgefühl der Inseln. Gleichsam als Erinnerung daran, daß diese braunen Paradiesgeschöpfe eine Königin gehabt hatten, die genug Kultur besaß, um Liedtexte zu dichten.
    Die Leute tobten, nachdem Stimme und Instrumente schwiegen. Das war das Ende der Vorstellung. Nach einer Pause würde sie von neuem
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