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Schwartz, S: Blutseelen 2: Aurelius

Schwartz, S: Blutseelen 2: Aurelius

Titel: Schwartz, S: Blutseelen 2: Aurelius
Autoren: Unbekannt
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bestiefelten Fuß in die Rippen, während er ein Volkslied pfiff. Aurelius schrie und bäumte sich auf, aber er tat es nur in seinen Gedanken. Eine schützende Kraft hatte von ihm Besitz ergriffen und verbot seinem Körper jeden Laut und jede Regung.
    Ein zweiter Soldat beugte sich hinab und hieb den Knauf eines Dolches gegen die blutende Schulterwunde. „Der ist hinüber“, sagte er zufrieden. „Durchsucht seine Taschen. Bestimmt hat er was, was er nich‘ mehr brauch‘.“ Er lachte dreckig über seinen sarkastischen Scherz.
    Aurelius wurde grob am Boden hin und her gestoßen, gierige Hände griffen sich, was zu greifen war. Sein Dolch und einige andere Habseligkeiten wechselten den Besitzer.
    Die Soldaten gingen. Danach wurde es still. In der Ferne hallten Schreie, Stöhnen und raues Gelächter. Pferde schnaubten. Am Galgenbaum krächzte ein Rabe.
    Sie hatten verloren. Aurelius hielt die Augen geschlossen, und doch war ihm, als könne er die Wolken über sich sehen, den stummen Himmel, dem sein Leid gleichgültig war. Sie hatten verloren, und nun würde Böhmen an die Katholiken fallen.
    Er versuchte, sich an seine Familie zu erinnern, an Vater und Mutter, aber da war keine Erinnerung. Vor drei Jahren hatte er nach einem Raubüberfall eine schwere Verletzung erlitten. Eine adelige Frau hatte ihn damals gefunden und zu seiner Familie zurückgebracht. Zu diesem Zeitpunkt waren seine Eltern bereits tot gewesen. Nur sein Bruder Darion hatte noch gelebt. Sie waren zwei von sieben Geschwistern. Zwei hatte ihnen der Henker genommen, der sich Hunger nannte, drei seine Schwester, die Seuche.
    Aurelius' Gedanken kreisten um sein Leben, während er darauf wartete, dass dieser von allen Engeln verfluchte Tag sich seinem Ende neigte und die Dunkelheit ihm Schutz gewähren würde. Im Mantel der Nacht würde er fliehen. Obwohl er viel Blut verloren hatte, glaubte er nicht, an der Wunde zu sterben, die ihm eine Muskete zugefügt hatte. Diese Wunde würde wie all die anderen verheilen, ohne eine Narbe zurückzulassen. Sein Körper war mit erstaunlichen Selbstheilungskräften gesegnet. Bis auf zwei Narben, die an der Seite seines Oberkörpers auf den Rippen ein Kreuz bildeten und vermutlich von dem Überfall stammten, war er makellos.
    Die Sonne senkte sich. Es wurde eisig kalt, und er musste alle Muskeln immer wieder anspannen, um nicht am Boden festzufrieren. Schmerz fühlte er nicht mehr, nur dumpfe Taubheit.
    Erst als die Dunkelheit die Gräuel der Sieger verdeckte und die Galgenbäume zu Schatten wurden, kroch er davon. Meter um Meter legte er zurück, immer darauf bedacht, sich wieder fallen zu lassen und tot zu stellen, wenn sich ein Feind näherte. Zwei Mal rettete ihm die Stimme in seinem Inneren das Leben, indem sie ihn vor herannahenden Feinden warnte. Schließlich hatte er genug Abstand gewonnen und konnte aufstehen. Er rannte nicht, um keine Feinde auf sich aufmerksam zu machen. Am Rand des Schlachtfeldes nahm er einem toten Katholiken die Uniformjacke samt der Binde ab.
    Es dauerte endlos, bis er den Platz der Niederlage verlassen hatte. Er sah nicht zurück. Sein Leben hatte sich an diesem Tag gewandelt wie das Schlachtglück, und wenn er überleben wollte, musste er Böhmen verlassen.
    Er konnte nicht begründen, warum, aber er hatte keinen Augenblick lang Furcht, das kleine Dorf in der Nähe von Prag, in dem er, seine Frau Edita und Darion lebten, sei bereits geplündert und verwüstet worden. Ohne sich mit Anklopfen aufzuhalten, trat er ein. Edita flog ihm entgegen und klammerte sich an ihm fest.
    „Du lebst“, flüsterte sie erstickt und tastete immer wieder über seine langen Arme und Beine, als könne sie es nicht fassen. Er fuhr beruhigend durch ihre dunklen Haare. Er liebte sie nicht. Sie war Darion als Ehefrau ausgesucht worden, doch Darion hatte sie nicht gewollt. Um dem Wunsch seines toten Vaters zu entsprechen, der die Verbindung ihrer Familien angestrebt hatte, hatte Aurelius sie vor zwei Jahren geehelicht. Damit war allen Genüge getan, und sie war nicht die schlechteste Frau, wenn sie ihn auch nicht übermäßig ansprach.
    Er schob sie von sich. „Die Schlacht am Weißen Berg ist verloren. Wir müssen Böhmen verlassen, ehe der Feind vor unserem Haus steht.“
    Sie schüttelte den Kopf. „Nein, wir bleiben. Wir sind die Kinder Jesu. Bůh je láska: Gott ist Liebe. Er wird uns beschützen.“
    „Wir waren Kinder Gottes. Jetzt sind wir Exulanten: Flüchtlinge! Also beweg dich und pack zusammen.
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