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Schwaben-Zorn

Titel: Schwaben-Zorn
Autoren: Klaus Wanninger
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aufgestellt waren und die Passanten mit dicken Überschriften ansprechen sollten, waren kaum mehr zu erkennen.
    Lisa machte sich erst gar nicht die Mühe, sie zu entziffern, wandte sich ab, bemerkte den flüchtigen Blick des Mannes. Sie erkannte ihn sofort wieder. Den Kopf leicht nach vorne gebeugt, versuchte er, sich hinter dem breiten Rücken seines Vordermannes zu verstecken.
    Sie sah, wie er sich in die Reihe der Passanten hinter ihr einordnete, die der Rolltreppe zustrebten. Eine Frau mit einer großen Tasche kam ihm in die Quere, drängte sich vor ihn. Lisa betrachtete ihn aus den Augenwinkeln, sah, dass er den Kragen seiner Jacke weit ins Gesicht gezogen hatte und krampfhaft auf den Boden starrte. Zufall?
    Sie blickte wieder nach oben, spürte die nagenden Zweifel. Zwei völlig unterschiedliche Menschen auf genau demselben Weg. Erst oben auf der Anhöhe über dem Zentrum, dann – fünfzehn Minuten später – unten direkt vor dem Bahnhof. Derselbe Weg, dieselbe Zeit, dasselbe Ziel. Purer Zufall?
    Sie griff sich vorsichtig an die rechte Wange, spürte sofort den Schmerz. Augenblicklich hatte sie das nächtliche Geschehen wieder vor Augen. Sie waren in Gronaus Wohnung eingedrungen, hatten alles durchsucht. Wonach? Irgendwelche Unterlagen über entlarvte Spione, ertappte Länder, überführte Diplomaten? War es ihnen nicht gelungen zu finden, was sie suchten, und fürchteten sie deshalb, von den Recherchen des Journalisten entlarvt und bloßgestellt zu werden?
    Lisa spürte die harte Kante einer Aktentasche an ihrer Seite, sah zwei Männer hektisch an sich vorbeihasten. Sie war fast ganz oben angelangt, drehte sich um, warf einen letzten Blick zurück. Abgekämpfte, müde Gesichter. Männer mit Aktenmappen und Einkaufstaschen, Frauen in dicken Jacken. Zwei, drei Teenies, laut miteinander schreiend, Kaugummiblasen vor dem Mund. Kein Mann mit hochgezogenem Kragen, niemand in einer schwarzen Jacke. Der Unbekannte war verschwunden. Hatte sie es sich nur eingebildet, verfolgt zu werden?
    Sie war oben angekommen, stolperte über einen harten Gegenstand, der sich in den Zähnen der Rolltreppe verfangen hatte. Sie blickte auf den Boden, sah, dass es sich um eine leere Hasche handelte, die irgendjemand achtlos weggeworfen hatte. War es wirklich Zufall, dass sie den Mann erst beim halsbrecherisch-lebensgefährlichen Überqueren der Gerokstrasse, dann Minuten später in der Klett-Passage gesehen hatte?
    Lisa versuchte, den Gedanken neuerlicher Bedrohung zur Seite zu schieben, folgte der breiten Steintreppe des mittleren Eingangs nach oben, betrat die Bahnhofshalle.
    Wenn sie die Wohnung heute Nacht vergeblich auf den Kopf gestellt und dabei von ihrer Anwesenheit überrascht worden waren – schien es dann nicht verständlich, in ihr die Mitarbeiterin, zumindest aber Gehilfin Gronaus zu sehen, deren heimliche Überwachung doch noch zum Ziel führen konnte?
    Sie blickte sich aufmerksam um, tauchte in die wogende Menschenmenge ein. Die Bahnhofshalle war dicht bevölkert, Passanten waren in alle Richtungen unterwegs. Sie schaute nach oben, zur gewaltigen Abfahrtstafel, sah, dass es kurz vor vierzehn Uhr war. Züge nach Hamburg, Dortmund, Mailand standen zur Auswahl.
    Ein weicher Körper berührte sie unterhalb ihres rechten Knies. Erschrocken starrte sie nach unten, bemerkte den struppigen Hund, den eine ältere Frau hinter sich her durch die dichte Menge zerrte. Das Tier stierte ängstlich zur Seite, sträubte sich mit eingezogenem Kopf gegen die Bemühungen seiner Herrin, ihn zu einem der Bahnsteige zu bewegen. Noch jemand, der sich nicht übermäßig wohlfühlt, überlegte sie, eine weiteres Wesen, dem das Menschengewühl hier nicht ganz geheuer erscheint.
    Sie blieb stehen, schaute zur Seite, musterte aufmerksam die Gesichter um sich herum. Männer, Frauen, alle schienen in Eile. Kaum eine Person, die müßig vor einem der kleinen Zeitungs- oder Imbissläden stand und die hektisch vorbeieilenden Passanten betrachtete. Du hast dich getäuscht, versuchte sie sich zu beruhigen. Er ist nicht hier. Zufall, es war wirklich nur Zufall.
    Die Lautsprecherstimme eines Bahnbeamten scholl durch die Halle, wies auf die Ankunft eines Zuges aus Tübingen hin. Lisa versuchte, ihre Besorgnis endgültig abzuschütteln, schob sich durch die Menschenmenge am Informationsstand der Bahn vorbei, betrachtete die üppig bestückten Auslagen der Buchhandlung. Bildbände über Stuttgart und seine Umgebung, Neuerscheinungen von Romanen, Krimis,
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