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Schwaben-Zorn

Titel: Schwaben-Zorn
Autoren: Klaus Wanninger
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historischer Literatur, stark ermäßigte Sonderausgaben. Sie überflog die Titel der Reihe nach, versuchte im Spiegel der hell erleuchteten Schaufenster die Gesichter zu identifizieren, die irgendwo hinter ihr im weitläufigen Areal der Bahnhofshalle unterwegs waren. Menschen jeden Alters, viele hektisch vorbeieilend, andere langsam um sich blickend. Er war nicht dabei.
    Lisa drehte sich um, begab sich auf die andere Seite der Halle, betrat den Zeitungskiosk. Sie blätterte in verschiedenen Titeln, schaute aus den Augenwinkeln nach draußen, verließ den Laden auf der anderen, den Bahnsteigen zugewandten Seite. Ein älterer Mann folgte ihr, eine Zeitung in der Hand.
    Sie blickte sich nicht weiter um, lief den Kopfenden der Bahnsteige entlang bis zu den Treppen, die zur S-Bahn hinunterführten, schwenkte dann wieder in die Bahnhofshalle um, blieb kurz stehen. Kein vertrautes Gesicht, niemand, der ihr auch nur entfernt bekannt vorkam.
    Sie wollte dennoch nichts unversucht lassen, sich vollends Gewissheit zu verschaffen, starrte auf den gelb unterlegten Abfahrtsplan der Züge neben dem Pavillon der Bahnhofsmission, wartete drei, vier Minuten, blickte sich dann blitzschnell um. Ein großer Pulk Reisender quoll aus dem S-Bahn-Tunnel: Frauen, Männer, eine Gruppe Heranwachsender. Sie liefen auf die abfahrbereiten Züge zu, verteilten sich auf verschiedene Bahnsteige. Kaum weniger Menschen strebten in die Tiefe, einige auf den breiten Stufen, die meisten auf der leise ratternden Rolltreppe. Zwei junge Männer zwängten sich auf Inlinescatern durch die Menge, rollten ohne Anhalten direkt auf das stählerne Monstrum, verschwanden in der Unterführung. Alles unbekannte Gesichter, niemand, den sie bewusst schon einmal wahrgenommen hatte.
    Lisa durchquerte die Bahnhofshalle, folgte den Treppen, die zur Post hochführten, lief auf die andere Seite zum Café Naser, rang einen Moment mit sich selbst. Ich kann nichts dafür, dass ich so aussehe, meine Schuld ist es nicht. Sie hoffte, nicht allzu viel Aufsehen zu erregen, öffnete die Tür.
    Das Café war gut besucht. Sie begrüßte die junge Bedienung, die einem älteren Mann gerade einen Kuchen servierte, suchte sich einen Platz an der Brüstung. Zwei Frauen sahen von ihrem Kaffee auf, schielten unverhohlen neugierig zu ihr her.
    Lisa spürte das Blut in ihren Wangen pulsieren, fühlte ihre Unsicherheit. Sie versuchte, die beiden Frauen nicht zu beachten, drehte sich zur Seite. Das Café bot einen hervorragenden Überblick über einen großen Teil der Marktstation hinweg direkt zum Imbiss mit seiner breiten Theke.
    Sie bestellte sich grünen Tee, beobachtete das Geschehen im Erdgeschoss. Ein junger Mann mit langen, dunklen Haaren verkaufte warme und kalte Getränke, Obst, belegte Brötchen. Vor seinem Stand herrschte reger Betrieb, immer neue Kunden stellten sich an.
    Lisa nahm den Tee entgegen, bezahlte sofort. Sie sah, dass eine der beiden Frauen immer noch zu ihr herschielte, schaute nach unten. Vor dem Imbiss wartete eine lange Schlange. Der junge Mann hatte alle Hände voll zu tun.
    Sie trank von ihrem Tee, beruhigte sich langsam wieder. Mit Ausnahme der beiden unhöflichen Gafferinnen hatte ihr niemand auffällig nachgestarrt, also konnte es um ihr Aussehen nicht gar so katastrophal bestellt sein. Und was den vermeintlichen Verfolger anbetraf, hatte der sich wohl endgültig in Luft aufgelöst.
    Sie trank ihre Tasse leer, betrachtete wieder das Geschehen im Erdgeschoss. Passanten eilten am Imbiss vorbei zu dem Laden im hinteren Teil der Marktstation, eine Gruppe junger Leute schlenderte, heftig miteinander diskutierend, auf die andere Seite, wo eine McDonald’s-Filiale untergebracht war. Vor der breiten Imbiss-Theke war Ruhe eingekehrt, ein einziger Kunde wartete noch. Lisa sah, wie der junge Mann zwei kleine Flaschen über den Tresen reichte, das Geld entgegennahm und den Kunden verabschiedete. Als niemand nachkam, erhob sie sich, nickte der Bedienung freundlich zu, lief die Treppe nach unten, die direkt in die Marktstation führte.
    Der Mann war gerade dabei, Teller zu reinigen, als sie den Imbiss erreichte. Sie stellte sich vor die Theke, versuchte, ihre rechte Gesichtshälfte im Schatten zu halten.
    »Was darf es sein?«, fragte er.
    Auf so kurze Distanz wirkte er weit älter als von ihrem Platz oben im Café. Die Haut seines Gesichts war von unzähligen kleinen Pickeln und Schrammen übersät, Falten zogen sich quer über seine Stirn. Allein die kohlrabenschwarzen Haare
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