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Schwaben-Zorn

Titel: Schwaben-Zorn
Autoren: Klaus Wanninger
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und emotionslos, die ihm fast das Blut hatte gefrieren lassen.
    »Es braucht Ihnen nicht Leid zu tun. Strafe erhält, wer Strafe verdient.«
    Er hatte geglaubt, nicht richtig zu verstehen, hatte seinen eigenen Ohren misstraut.
    »Ihre Tochter Christina«, hatte er betont, langsam, Wort für Wort wiederholend, »Sie verstehen?«
    Sie hatte verstanden, ohne Zweifel. »Sie ist nicht mehr unsere Tochter«, war ihre Antwort, »seit über einem Jahr nicht mehr.«
    Braig hatte den Sinn ihrer Aussage zuerst nicht begriffen, sich dann den von Wut und Enttäuschung geprägten Bericht über den Zerfall einer angeblich vorbildlich intakten Familie angehört.
    »Christina war drei Jahre, als wir sie zu uns nahmen. Aus dem Heim. Ihre leibliche Mutter hatte sich kurz nach Christinas Geburt das Leben genommen, der Vater war unbekannt. Wir haben alles Erdenkliche getan, ihr das Leben mit uns schön zu machen. Robert, mein Mann, brachte alle paar Tage Spielzeug mit, Lego-Bausteine, Möbel für die Puppenstube, Holz- und Stofftiere. Wir erweiterten das Haus, bauten zwei Zimmer an. Zwei Jahre später holten wir Rebekka, aus demselben Heim. Die beiden verstanden sich von Anfang an prächtig, ein Herz und eine Seele. Gottes Segen ruhte auf unserer Familie. Wir erzogen sie unter seinem Wort. So lange, bis der Satan unser Glück nicht länger mit ansehen wollte und sie in seine Gewalt bekam.«
    Braig hatte die Frau ungläubig angestarrt, ihre hageren, abgehärmten Gesichtszüge betrachtet. Ihr Aussehen korrespondierte in extremem Ausmaß mit ihren von bitterer Enttäuschung geprägten Worten: bleiche, fast ledrige Haut, eingefallene, teilweise knochige Wangen, glasklare blaue Augen mit stechendem Blick.
    »Wer sich dem Satan verschreibt, wird in der Hölle enden«, hatte sie hinzugefügt, Braig dann anschließend über die weiteren Verfehlungen ihrer Adoptivtochter informiert.
    Christina war mit siebzehn der Sünde verfallen. Statt in die Schule zu gehen, wie sie es ihren nichts ahnenden Eltern erzählte, hatte sie ein Verhältnis mit einem älteren Mann begonnen, ihn fast jeden Tag in seiner Firma aufgesucht. Und das alles, obwohl sie Woche für Woche mit ihren Adoptiveltern gemeinsam sonntags den Gottesdienst und Montag für Montag am Abend die Bibelstunde besucht, dazu vor und nach den Mahlzeiten gebetet und streng nach Gottes Wort gelebt hatte.
    »Nachbarn haben uns alles erzählt, verstehen Sie? Alle haben Bescheid gewusst, nur wir nicht. Fast zwei Jahre lang.«
    »Sie war verliebt, wenn ich das richtig verstehe«, hatte Braig eingeworfen, die giftigen, hasserfüllten Blicke der Frau vor Augen, »ist das nicht normal mit siebzehn?«
    »Das war Hurerei, nichts anderes!«, war ihre Antwort.
    Sie hatten das Mädchen aus dem Haus geworfen, vor etwas mehr als einem halben Jahr, hatten die Verbindung zu ihr abgebrochen und sie enterbt, waren zudem dabei, die Adoption aufzulösen.
    »Und was ist mit Rebekka, Christinas Schwester?«
    Sie hatte die Familie ebenfalls vor wenigen Monaten aus Protest verlassen – »besessen vom Leibhaftigen«, wie Erika Bangler betonte, war zu ihrer Adoptivschwester gezogen, ohne jeden Kontakt zu ihrem ehemaligen Elternhaus.
    »Der Satan hat sie in seinen Krallen, beide. Jetzt sehen sie selbst, wo das endet.«
    Braig wusste nicht, ob er der Frau volle geistige Gesundheit zubilligen, sie in all ihren Aussagen ernstnehmen durfte. War das eine Form religiöser Verblendung oder musste man die Ursachen ihres Wahns in anderen Bereichen suchen?
    Er blickte sich um, betrachtete die etwas spartanisch, nicht gerade gemütlich wirkende Einrichtung der Küche: eine in nachgedunkeltem Eichenholz furnierte Einbauzeile, der von einem großen Holzkreuz gekrönte Schrank, ein von schwarz lackiertem Holz eingerahmter Spruch an der Wand: Sei Deinem HERRN gehorsam. Er wird Dich reich dafür belohnen.
    Braig spürte die Gänsehaut, die ihm kalt über den Rücken lief. Wärme strahlte dieser Raum nicht aus, in keiner Weise. War es wirklich so überraschend, dass die beiden Mädchen Reißaus genommen hatten?
    »Sie haben keine Verbindung mehr zu ihren Töchtern?«
    Die Frau starrte ihn voller Verachtung an. »Habe ich Ihnen nicht genug erzählt?«
    »Es wäre wichtig für uns, die Freunde Christinas kennen zu lernen, den Kreis von Leuten, mit denen sie zusammen war.«
    Die Miene Erika Banglers verkrampfte sich zusehends. »Mit den Dienern Satans haben wir nichts zu tun, wir nicht«, zischte sie.
    Braig fühlte Übelkeit in sich
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