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Schwaben-Liebe

Schwaben-Liebe

Titel: Schwaben-Liebe
Autoren: Klaus Wanninger
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das schien Braig doch unglaubwürdig. Einem toten oder sterbenden Menschen unverhofft gegenüberzustehen und ihm dann etwas zu rauben, erforderte ein solches Ausmaß an Skrupellosigkeit, wie es in Friedenszeiten zum Glück nur in Ausnahmefällen zu beobachten war. Viel wahrscheinlicher war es, dass die abgetauchte Frau den Toten gekannt und die Kamera bewusst an sich genommen hatte. Aber weshalb? Weil unbedingt verborgen bleiben musste, was mittels des Gerätes zu sehen war – der oder die Täter etwa, die Hesslers Tod zu verantworten hatten?
    Was auch immer es mit der Kamera auf sich hatte, sie mussten alles versuchen, sie aufzufinden. Möglicherweise kam dem Gerät eine entscheidende Rolle bei der Aufdeckung des Verbrechens zu.

4. Kapitel
    Acht Monate zuvor
    Der Brief kam genau zwei Wochen später. In einem traditionellen, weißen Kuvert, mit von Hand geschriebenen Druckbuchstaben adressiert an
Frau Tanja Geible persönlich
. Sie zog ihn aus dem Briefkasten, als sie von der Frühschicht nach Hause kam, legte ihn auf den Wohnzimmertisch. Die Wohnung war leer, ihr Mann und ihr Sohn bei der Arbeit beziehungsweise in der Schule.
    Sie legte die dicke Jacke ab, die sie am Morgen angesichts der strengen Januar-Temperaturen übergezogen hatte, streifte die Schuhe von den Füßen, lief in die Küche. Der Kühlschrank blubberte leise vor sich hin. Sie zog das Brot aus dem Kasten, schnitt eine dünne Scheibe ab, nahm einen Joghurt, ließ sich dann im Wohnzimmer auf einen Stuhl fallen. Der Morgen war wieder sehr anstrengend gewesen, mehrere neue Patienten auf der Station eingeliefert worden, das Arbeitspensum kaum zu bewältigen. Wenn der Krankenhausträger nicht bald eine weitere Stelle bewilligte, würde sie die Kündigung einreichen, darüber war sie sich mit ihrem Mann einig, sie hatten es ausführlich besprochen. Ein neuer Arbeitsplatz irgendwo in der Umgebung würde sich garantiert bald finden lassen – der Stress war einfach nicht mehr zumutbar. Kein Arbeitgeber hatte das Recht, die Gesundheit seiner Mitarbeiter systematisch zu ruinieren.
    Tanja Geible löffelte den Joghurt, aß das Brot. Zum Glück waren ihre beiden Männer, wie sie sie zu nennen pflegte, sowohl in der Firma als auch in der Schule mit warmem Mittagessen versorgt. Seit Dominik vier Tage in der Woche erst gegen 17 Uhr Unterrichtsschluss hatte, waren sie dazu übergegangen, ihn in der Schulmensa anzumelden. Das Essen ließ bezüglich seiner Qualität zwar ab und an zu wünschen übrig – jedenfalls, wenn man den Behauptungen verschiedener Kinder glaubte – es ersparte ihr jedoch die Verpflichtung, jeden Tag auch noch zu Hause eine warme Mahlzeit bereitzuhalten. Da sich auch ihr Mann wie sie selbst mit dem Kantinenessen in der Firma im Allgemeinen zufrieden zeigte, pflegten beide Ehepartner ihre Kochkünste fürs Wochenende oder andere freie Tage aufzusparen. Angesichts ihrer anhaltenden beruflichen Belastung war Tanja Geible für dieses familiäre Übereinkommen äußerst dankbar.
    Sie steckte den Löffel in den leeren Joghurtbecher, wischte sich die Hände an einem Papiertaschentuch sauber, griff nach dem Kuvert auf dem Tisch. Kein Absender, seltsam. Wer schrieb heute noch mit solch akkuraten Druckbuchstaben? Sie nahm den langen Fingernagel ihres Zeigefingers zu Hilfe, öffnete den Verschluss. Drei Blätter, alle in der Mitte gefaltet. Sie zog sie aus dem Kuvert, breitete sie auseinander, erstarrte. Ihr ganzer Körper geriet in Aufruhr, Arme und Beine zitterten, ihr Pulsschlag beschleunigte ins Unendliche. Vor Schreck ließ sie die Blätter fallen.
    Sie hatte Mühe, sich zu sammeln, bückte sich schwer atmend, hob die Post auf. Zwei großformatig auf Papier ausgedruckte Fotos, beide mit fast dem gleichen Motiv; ein drittes Blatt als Begleitschreiben. Sie nahm es in ihre heftig zitternden Hände, begann zu lesen.
    Ich denke, es ist für uns beide besser, wenn diese und weitere noch detailliertere Aufnahmen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Weder dein Mann noch deine Vorgesetzten, Kolleginnen und Patienten sollten sich an all den vielen Bildern erfreuen, die während unserer kurzen, aber intensiven Begegnung entstanden. Und für die Polizei sind sie wirklich nicht geeignet. Vergiss bitte nicht, wie schnell sich per Internet solche reizvollen Motive verbreiten. Wäre das in deinem Sinn?
    Nein, das weißt du selbst am besten. Die Fotos würden
der
Hit im Krankenhaus und in der ganzen Stadt. Deshalb sollten wir uns schnell einig werden
.
    Sagen wir
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