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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass
Autoren: Klaus Wanninger
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Braig drehte angeekelt den Kopf, sah zwei modisch gekleidete junge Männer um die Zwanzig, die Füße samt Schuhen auf den gegenüberliegenden Polstern, Bierdosen in der Hand, lauthals miteinander diskutierend.
    Lag es wirklich nur an seinem Alter, dass er, wohin er auch sah, überall immer deutlichere Erscheinungen von Verwahrlosung zu erkennen glaubte, eine Verrohung der Sitten, eine Brutalisierung des Umgangs der Menschen miteinander, wachsende Rücksichtslosigkeit und Aggression in allen Teilen der Gesellschaft, vor allem auch der Jugend?
    Warum konnte er die breit auf die hellgrauen Polster des Zuges gedrückten Schuhe nicht als einen Ausdruck besonders cooler Lebenseinstellung verstehen? Junge Leute unterschieden sich von den Älteren eben nicht nur durch ihr Äußeres: Offensichtlich gehörte es heute, am Beginn des neuen Jahrtausends zum guten Ton, sich mit deutlich sichtbarem Markenlabel auf der Kleidung in der Öffentlichkeit zu zeigen und sich gleichzeitig ohne jede Hemmung daneben zu benehmen- Was ihm, Braig fehlte, war nur das Gespür für die Faszination dieser neuen Lebensart!
    Er zwang sich, das laute Schreien der beiden zu überhören, starrte aus dem Fenster. Die Kratzer in der Scheibe, ein wirres Zickzack, waren nicht zu übersehen. Braig streckte seine Hand aus, fuhr sie langsam mit den Fingerspitzen nach. Sie waren mit Messerspitzen oder anderen scharfen Gegenständen eingeritzt. In einem neuen, wohl erst einige Wochen alten Zug.
    Vielleicht hatte er seinen Beruf als Polizeibeamter im Verlauf der Jahre derart verinnerlicht, dass er überall, wo er nur Unrecht witterte, sofort den Ordnungshüter herauskehren musste? Braig arbeitete seit fast zehn Jahren beim Landeskriminalamt in Stuttgart, galt bei Kollegen und Vorgesetzten als angenehmer, erfolgreicher Ermittler. Nicht, dass er seinen Beruf als den großen Traum oder gar die Erfüllung seines Lebens betrachtet hätte – dazu brachte der Alltag zu viele negative Erfahrungen, stocherte er mit seinen Ermittlungen doch allzu oft im Morast menschlicher Beziehungen. Nein, Braig war nicht der geborene Super-Cop, der jeden Tag strahlend seine Begeisterung über den Beruf herausschrie.
    Natürlich gab es auch Momente, in denen ihm seine Tätigkeit Spaß machte: Momente, die viel zu selten wiederkehrten, ihn dann aber zu verstärkter Arbeit ermunterten.
    Braig wusste um die Gefahren jeder Gewöhnung, hasste nichts mehr, als um des bloßen Prinzips willen als Verteidiger von Recht und Ordnung aufzutreten. Jahrelang nur im Sumpf zu wühlen, überwiegend mit Existenzen in Kontakt zu kommen, die Schwierigkeiten hatten, das Leben zu bewältigen, konnte nicht ohne Folgen bleiben. Der Teil der Bevölkerung, mit der Braig aus beruflichen Gründen Umgang hatte, benötigte ab und an eine starke Hand, die sie daran erinnerte, dass Normen und Gesetze dazu geschaffen waren, sich an ihnen zu orientieren, um ein einigermaßen friedliches Zusammenleben so vieler verschiedener Individuen zu ermöglichen. – Über Jahre hinweg diese starke Hand zu verkörpern, nach außen hin sich einen Panzer aufzubauen und jederzeit bereit zu sein einzuschreiten, – Braig benötigte keine psychologischenen Erkenntnisse, um sich der Folgen für ihn selber sicher zu sein.
    Nein, die immer häufigere Beobachtung fortschreitender Verwahrlosung entsprang nicht seiner Einbildung: Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hatte eine Gesellschaft einen derartig hohen Lebensstandard für nahezu alle Leute erreicht wie jetzt – und doch wurde der Umgang mit dem, was allen gehörte und auch der Umgang miteinander immer ruppiger, aggressiver, immer deutlicher von Ellbogen und egoistischer Rücksichtslosigkeit bestimmt. Da war ein Rad am Laufen, eine Entwicklung im Gang, die immer schneller in die falsche Richtung lief.
     
    Braig verließ den Zug an der Nürnberger Straße, folgte ihr bis zum Augsburger Platz. Hätte er eingreifen, die jungen Männer ermahnen sollen, die Schuhe von den Sitzen zu nehmen? Das Thema ließ ihn nicht los. Er wusste keine Antwort.
    Er überquerte die Gleise der Güterbahn, die parallel zur stark befahrenen Augsburger Straße lagen, bog in die Dennerstraße ein. Keine hundert Meter von ihm entfernt stoppte ein Streifenwagen, zwei uniformierte Polizisten sprangen aus dem Fahrzeug, hielten auf einen Mann zu, der sich an einem dort geparkten Motorrad zu schaffen machte. Braig wartete am Rand der Straße, ließ zwei Autos passieren, bemerkte die beiden Jungen hinter
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