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Schwaben-Angst

Schwaben-Angst

Titel: Schwaben-Angst
Autoren: Klaus Wanninger
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jede spontane, unüberlegte Bewegung dringend vermeiden. Zudem litt sie alle paar Tage unter erheblichen Schmerzanfällen, deren Ursachen noch nicht eindeutig ermittelt worden waren. Trotz ihres Alters von 29 Jahren war es ihr sechs Monate nach dem Attentat also noch nicht möglich, den Dienst als Kriminalmeisterin wieder aufzunehmen. Sie hatte in der Zwischenzeit ihre Wohnung in Kornwestheim an eine Freundin weiter vermietet und war zu ihrer Mutter nach Ludwigsburg gezogen, um sich mit deren Hilfe langsam wieder auf ein geordnetes Leben vorzubereiten.
    Was Steffen Braig selbst anbetraf, war das folgenschwere Zusammentreffen mit dem Verbrecher in Backnang glimpflicher ausgegangen, als er es sich anfangs ausgemalt hatte. Mit zwei Schüssen hatte er damals den Verbrecher getötet. Selbstvorwürfe, einen Menschen erschossen zu haben, stellten sich nur in Stunden tiefster Depression bei ihm ein, war die Notsituation, aus der heraus er gehandelt hatte, nämlich: das Leben seiner jungen Kollegin vor einem skrupellosen Kriminellen zu retten, doch noch zu deutlich in seiner Erinnerung präsent. Es hatte keine andere Möglichkeit gegeben, Ann-Katrin vor dem Tod zu bewahren. Der von ihm erschossene Auftragskiller war unmittelbar vor der durch eine Unebenheit gestrauchelten Beamtin aufgetaucht und hatte mit seiner Waffe direkt auf sie gezielt.
    Auch das automatisch bei einem unnatürlichen Todesfall eingeleitete Untersuchungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft hatte ihm keine Probleme bereitet: Zu eindeutig waren die von mehreren Augenzeugen beobachtete Situation und der Tathergang, als dass Braig irgendein Vorwurf daraus erwachsen konnte. Die Voruntersuchung war von den zuständigen Staatsanwälten bald abgeschlossen, das Hauptverfahren erst gar nicht eingeleitet worden. Die Kommission hatte ihm ohne jeden Einwand korrektes Verhalten bestätigt. Was den Kommissar bewegte, war nicht die Tatsache, einen Menschen getötet, sondern der Selbstvorwurf, Ann-Katrin Räuber nicht schnell genug vor den Attacken des Verbrechers geschützt zu haben.
    »Es tut mir Leid«, entschuldigte er sich am Telefon, »aber ich habe schlechte Nachrichten. Ich muss zu einem Einsatz. Rotenberg. Anscheinend das Übliche.«
    Er versprach, die Untersuchung möglichst schnell durchzuführen und dann auf direktem Weg nach Ludwigsburg zu kommen.
    Der Fundort des Toten war nicht schwer zu erreichen: Die Häuser Rotenbergs klebten eng aneinander gereiht auf der Spitze eines lang gezogenen, schmalen Bergkamms unweit des Neckartals, von unzähligen mit Weinreben überzogenen Hügeln umgeben, gerade mal drei, vier Kilometer vom Landeskriminalamt entfernt..
    Ein traumhaft schönes Panorama, überlegte Braig, als er sich einer Gruppe heftig diskutierender und kritisch die Umgebung musternder Menschen am Ortsende Rotenbergs näherte. Er grüßte die uniformierten Polizeibeamten, welche die Straße mit einem rotweiß gemusterten Plastikband abgesperrt hatten, wies sich aus, ließ sich den Weg zur Fundstelle des Toten erklären. Keine hundert Meter weiter, einen Steinwurf unterhalb der Grabkapelle, sah er seine Kollegen. Der Himmel hatte sich inzwischen vollkommen aufgeklart, nur einzelne Wolkenreste waren noch am Horizont zu erkennen. Die Sonne stand schon tief im Westen, warf ein mildes Licht auf die von wochenlangen Niederschlägen und Feuchtigkeit aufgeweichten Böden und Blätter der Weinberge.
    Braig grüßte Markus Schöffler, den Kollegen von der Kriminaltechnik, klopfte Bernhard Söhnle, mit dem er seit Jahren zusammenarbeitete, auf die Schulter. Der Anblick der Leiche zu Füßen der Männer brachte ihn auf andere Gedanken. Braig betrachtete das vom Todeskampf verzerrte Gesicht des Verstorbenen, erkannte erst jetzt den Arzt, der schwer atmend vor der Leiche kniete und mit der Untersuchung der Bauchpartie des Mannes beschäftigt war.
    »Dr. Keil, freut mich, Sie zu sehen.«
    Der Mediziner knurrte irgendwelche unverständlichen Worte, richtete sich schwerfällig auf. »Ist es mal wieder so weit.« Er reckte seinen Oberkörper hoch, streifte die Plastikhandschuhe ab, begrüßte den Kommissar. Keil war ein älterer, weißhaariger Mann mit einem bulligen Körper und dichten Augenbrauen. Seine Stimme klang rauchig und verschnupft, seine Nasenflügel glänzten rot, wie bei einem starken Trinker. Braig schätzte den Mediziner aufgrund langjähriger Zusammenarbeit. Keils Diagnosen waren präzise und sorgsam fundiert, entbehrten oft nicht eines kräftigen
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