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Schwaben-Angst

Schwaben-Angst

Titel: Schwaben-Angst
Autoren: Klaus Wanninger
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Rolle in dem Stück.«

3. Kapitel
    Das Haus Konrad Böhlers lag am oberen Ortsrand Rotenbergs, hoch auf dem Bergkamm, dessen Flanken im Südosten Weinreben, im Nordwesten Obstbäume trugen. Dem frisch renovierten Fachwerkhaus war eine breite, von Büschen und Blumen gesäumte Terrasse vorgelagert, an deren Ende sich ein passender Stall befand. Die weißen Mauern des landwirtschaftlich genutzten Gebäudes glänzten in der Abendsonne.
    »Hast du dir die richtige Hausnummer geben lassen?«, fragte Braig, als er an der Pforte vergeblich nach einem Namensschild suchte.
    Söhnle hob abwehrend seine Hände. »Ich kann für nichts garantieren.«
    Braig war froh, dass er die schlimme Nachricht nicht allein überbringen musste. Schon die Tatsache, den Kollegen beim ersten Kontakt mit den Angehörigen des Verstorbenen an seiner Seite zu wissen, erleichterte ihm den Weg. Bei aller Routine – zu oft hatte er im Verlauf der vergangenen Jahre die Botschaft vom überraschenden Tod eines Menschen überbringen müssen –, die Angst in den Augen der Partner, Verwandten oder auch nur weitläufig Bekannten, den Moment des Begreifens des schrecklichen Geschehens in ihren Gesichtern mit ansehen zu müssen, waren für ihn die unangenehmsten Minuten seiner beruflichen Tätigkeit. Am liebsten war es ihm, wenn er von einem Pfarrer oder einer Pfarrerin begleitet wurde, Personen, denen es – zumindest dem Anschein nach – mit größerer Souveränität und Abgeklärtheit gelang, diese Aufgabe zu bewältigen. Aber war das wirklich so?
    Er erinnerte sich an seine Gespräche mit Vera Sommer, der jungen Pfarrerin von Lauberg, mit der er anlässlich eines seiner ersten Fälle beim Landeskriminalamt zusammengetroffen war. »Es ist nicht allein die Betroffenheit der Angehörigen und das Mitgefühl mit ihnen, es ist die Erinnerung an unser eigenes Ende, das stille Begreifen der Tatsache, dass es mit uns in jeder, wirklich jeder Sekunde unseres Lebens genauso weit sein kann, was uns das Überbringen der Todesnachricht so erschwert«, hatte Frau Sommer erklärt. »So sehr wir fast das ganze Leben darum kämpfen, uns von anderen zu unterscheiden, etwas Besseres als sie zu sein, so schnell sind alle Bemühungen dahin, wenn wir erst einmal so daliegen wie die Toten. Deshalb bedrückt es uns so. Jeden von uns.«
    Braig wusste nicht, wer sie erwartete. Der Nachbar, der so freundlich gewesen war, Konrad Böhler zu identifizieren, hatte laut Söhnle von einer Ehefrau des Toten gesprochen. Gab es Kinder, vielleicht sogar jüngere? Sie hatten vergessen, den Mann danach zu fragen.
    Steffen Braig betrachtete den dunklen Holzzaun, der das Grundstück begrenzte, entdeckte ein paar Meter weiter einen silbergrau lackierten Kunststoffbriefkasten samt Klingelkonsole, der die Aufschrift
Marion und Konrad Böhler
trug.
    Er läutete. Die Glocke war deutlich zu hören. Zunächst bemerkte er keinerlei Reaktion. Irgendwo, weit hinter ihm, hupte ein Auto. Er drehte sich um, betrachtete die Umgebung. Von seinem Standort aus hatte er einen prächtigen Rundum-Blick über rebenbestandene Hänge hinweg ins Tal, wo sich unten die roten Dächer des Nachbardorfes Uhlbach um eine alte Kirche gruppierten. Zwei kleine Traktoren, etwa von der Größe der Maschine, die sie bei dem Toten gefunden hatten, tuckerten die Weinberge hoch. Der Lärm ihrer Motoren scholl laut herauf.
    Braig drückte erneut auf die Glocke, schimpfte. »Scheint wohl niemand zu Hause zu sein.« Er suchte die Fenster des Fachwerkhauses mit seinen Augen ab, merkte, dass alles still blieb. »Dann können wir nichts anderes tun, als es später noch einmal zu versuchen.«
    Sie begaben sich zurück zu ihrem Wagen, sahen einen älteren Mann, der im Nachbargarten Unkraut rupfte. Er hatte stoppelige, graue Haare, schien unrasiert, trug alte, ausgebleichte Jeans, deren Hosenträger sich auf seinem Rücken kreuzten. Ohne lange zu überlegen, eilte Söhnle zu ihm, fragte nach Frau Böhler.
    Der Mann änderte seine Körperhaltung kaum, ließ sich in seiner Arbeit nicht stören. »Die?«, fragte er kurz. »Feiere wird se.«
    »Feiern?«
    »Was denn sonscht, wo der Alte jetzt endlich abkratzt isch.«
    Bernhard Söhnle starrte den Mann mit vor Überraschung offenem Mund an, blickte sich zu Braig um, winkte ihn herüber. Offensichtlich hatte sich der Tod Böhlers bereits im Ort herumgesprochen.
    »Wollen Sie damit sagen, dass das Verhältnis zwischen den beiden nicht besonders gut war?«, fragte er laut, damit Braig jedes Wort
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