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Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Titel: Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis
Autoren: Jens Schumacher
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willkürlich riesenhafte Bauklötze fallen gelassen. Es gab weiße, grüne, braune und rote, lang gestreckte, quadratische und runde. Das einzige verbindende Element war ihre Schmucklosigkeit. Die meisten bestanden aus Metall, manche waren kaum mehr als Container. Bedachte man den immensen Aufwand, unter dem diese Wohnstätten ans Ende der Welt transportiert und aufgebaut worden waren, schien dies kaum verwunderlich.
    Auf einer schneebedeckten Straße, ordentlich gesäumt von stählernen Laternen, rollten sie durch den Ort. Sie passierten einige wenige Fahrzeuge, olivgrüne Ambulanzjeeps mit dicker Stollenbereifung, kettenbetriebene Schneeraupen, groß wie Baustellenbagger, und ein paar klobige SnoCats. Wegweiser verkündeten, wo es zu Bars ging, zum Friseur, zur Bowlingbahn und einer Videothek. Es herrschte ein Tempolimit von dreißig Meilen. Alles wirkte so normal, um nicht zu sagen: langweilig, als wäre man in einem kleinen Goldgräberkaff irgendwo im Norden Amerikas. Nichts deutete darauf hin, dass man sich an einem der abgelegensten Punkte der Erde befand. Unter anderen Umständen hätte Henry darüber wahrscheinlich einen enttäuschten Kommentar abgegeben.
    Wie die Dinge lagen, war ihm all das momentan allerdings herzlich egal.
    Im Anschluss an die knappe Begrüßung hatte Dr. Golitzin auf eine rasche Abfahrt gedrängt. Während sie ihre Ausrüstung vom Flugzeug in den SnoCat umluden, versuchte Henry, mehr aus dem Russen herauszubekommen. Er erfuhr jedoch nur, dass zur Forschungsgruppe seines Vaters – von Golitzin aus unerfindlichem Grund »Spyker-Team« genannt – bereits seit Längerem kein Kontakt mehr bestehe. Weder über Funk noch Satellitentelefon könne man die Wissenschaftler aktuell erreichen.
    Während der Fahrt brütete Henry dumpf vor sich hin. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass es nicht zwangsläufig etwas bedeuten musste, wenn sein Vater über einen längeren Zeitraum nichts von sich hören ließ. Andererseits erschien es ihm merkwürdig, dass auch die restlichen Wissenschaftler seines Teams derart pflichtvergessen sein sollten, nicht einmal auf Funkrufe der Basisstation zu reagieren.
    Je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass die Antarktis selbst für einen weitgereisten Mann wie seinen Vater Neuland darstellte; nie zuvor hatten seine Forschungen ihn an einen derart lebensfeindlichen Ort geführt. Der Kloß in Henrys Kehle wurde dicker, als er sich vor Augen führte, was einer Expedition, sei sie noch so umsichtig geplant, im ewigen Eis alles zustoßen konnte.
    Verbissen verdrängte er den Gedanken und starrte weiter aus dem Fenster.
    Nach endlosen Minuten brachte Golitzin den SnoCat vor einem lang gestreckten, dunkelgrauen Gebäude zum Stehen. Ein Schild neben der Tür wies es als Crary-Labor aus. Sie stiegen aus und folgten dem russischen Wissenschaftler durch eine dicke Stahltür ins Innere.
    Hier war es bedeutend wärmer als draußen, nach der Kälte kam es Henry regelrecht überheizt vor. Ein rascher Blick auf sein Thermometer verriet ihm allerdings, dass hier lediglich normale einundzwanzig Grad herrschten. Ein dumpfes, kaum wahrnehmbares Brummen lag in der Luft, vermutlich von irgendwelchen Generatoren.
    In einem schleusenartigen Vorraum legten sie die obersten Schichten ihrer Polarkleidung ab, dann führte Golitzin sie durch einen Flur mit großen Scheiben in den Wänden. Dahinter waren modern ausgestattete Versuchsräume zu erkennen. Die meisten lagen im Dunkeln, nur in einem sah Henry zwei Männer in weißen Kitteln, die an einem wissenschaftlichen Aufbau mit Glaskolben, Röhrchen und Schläuchen werkelten.
    Sie passierten mehrere Büros sowie einen großen Gemeinschaftsraum voller Tische und Stühle. Auch hier war so gut wie niemand zu sehen.
    Am Ende eines Flurs, der mit Schaukästen voller präparierter Fische und Tiefseelebewesen dekoriert war, öffnete Golitzin schließlich eine Tür und bat die Besucher herein. Sie betraten einen nüchtern eingerichteten Konferenzraum mit rechteckig angeordneten Tischen und einem Whiteboard an der Wand. Ein großes Fenster gewährte einen beeindruckenden Ausblick auf das Gebirge, das Henry vom Landefeld aus gesehen hatte.
    Golitzin forderte sie auf, Platz zu nehmen und sich aus bereitstehenden Thermoskannen mit Tee oder Kaffee zu versorgen. Er selbst setzte sich nicht.
    Als alle eine dampfende Tasse vor sich hatten, baute er sich mit verschränkten Armen vor dem Whiteboard auf und kam ohne lange Vorrede zur Sache:
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