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Schumacher, Jens - Deep

Schumacher, Jens - Deep

Titel: Schumacher, Jens - Deep
Autoren: Jens Schumacher
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halb so dick wie das Schiff selbst, ein plumper, zugleich unwirklich biegsamer Auswuchs von schlammig-grauer Farbe.
    Wie eine Peitschenschnur entrollte sich das Gebilde, züngelte immer höher an der stählernen Außenwand empor. In diesem Augenblick hob sich der Meeresgrund ruckartig einen halben Meter in die Höhe. Henry ging in die Knie. Sein Blick jedoch blieb starr auf das geheftet, was sich keine hundert Meter hinter ihm abspielte.
    Die U-196 rutschte tiefer in den gähnenden Schlund, so weit, dass von ihrem Bug nur noch wenige Meter herausschauten. Gleichzeitig verschwand ein Teil des unvorstellbaren Tentakels wieder im Boden – das Gewicht des Bootes schien ihn mit sich zu reißen.
    Verzweifelt peitschte der Schlangenarm um sich, versuchte, irgendwo Halt zu finden. Unvermittelt öffneten sich unzählige runde, an Saugnäpfe erinnernde Blasen auf seiner Oberfläche. Henry, der sich auf grässliche Weise an seinen kürzlichen Albtraum erinnert fühlte, konnte einen gellenden Schrei nicht unterdrücken, als er sah, was daraus zum Vorschein kam.
    Hunderte schwarz glänzende Augäpfel stierten mit gierigem, hasserfülltem Blick in die Finsternis der See, Hunderte zahngesäumte Mäuler klafften, bissen und schnappten hierhin und dorthin, als könnten sie das Unvermeidliche so irgendwie aufhalten. Aber gegen die Gewalten der Natur und das immer tiefer rutschende Gewicht des U-Boots kam auch der unförmige Auswuchs nicht an.
    Ein letztes Mal hämmerte der Tentakel auf den Meeresboden ein, dann verschwand er mit einem Ruck in der Tiefe.
    Ein apokalyptisches Grollen setzte ein. Fassungslos beobachtete Henry, wie sich der Spalt im Boden zu schließen begann. Was vom U-Boot noch zu sehen war, wurde zusammengedrückt, baumdicker Stahl zerknitterte wie Aluminiumfolie. Dann brach die Hülle auf, und ein Wirbel aus jahrzehntelang eingeschlossener Restluft, Maschinenteilen und stählerner Inneneinrichtung explodierte in das nachtblaue Wasser.
    Ein letztes Ächzen gequälten Metalls, dann trafen die Kanten der Schlucht mit einem urtümlichen Donnern aufeinander. Von einem auf den anderen Augenblick war dort, wo zwölf Tage lang eine bodenlose Schlucht geklafft hatte, nichts mehr zu sehen als eine durchgehende, von Geröll und Metallschrott übersäte Fläche.
    In diesem Augenblick ertönte ein furchtbarer Schrei. Er schien von überallher zu kommen und ähnelte nichts, was Henry je gehört hatte. Unaussprechliche Enttäuschung und abgrundtiefer Hass schwangen in ihm mit.
    Das Kreischen wurde lauter, schraubte sich in immer schmerzhaftere Höhen empor. Henry verspürte den Drang, die Arme hochzureißen und seine Ohren zu schützen, doch im Innern des Hartanzugs war das nicht möglich. Hinzu kam, dass er den Schrei nicht allein mit den Ohren wahrnahm – das Heulen drang durch kilometerdickes Gestein zu ihm herauf, durch die Sohlen seiner Stiefel direkt in seine Knochen und geradewegs in sein Gehirn.
    Henrys Beine gaben nach, seine Sicht verschwamm, schien sich von den Rändern her immer mehr zu verdunkeln. Sollte dieses Kreischen noch eine Sekunde länger anhalten, das spürte er, würde er entweder das Bewusstsein verlieren oder seinen Verstand – oder beides, in dieser Reihenfolge.
    Da brach der Laut unvermittelt ab. Die Stille, die sich anschloss, war fast so schmerzhaft wie zuvor der Lärm.
    Henry wankte. Nicht hinfallen, schoss es ihm durch den Kopf. Geschwächt wie er war, würde er nach einem Sturz möglicherweise nicht mehr aus eigener Kraft hochkommen. Mit angehaltenem Atem wartete er auf den nächsten Erdstoß, der ihn endgültig von den Knien fegen und der Länge nach in Muscheln und Sand schleudern würde.
    Doch er kam nicht. Das Beben war vorbei.
    Mit weichen Knien machte Henry einen Schritt, dann einen weiteren. Am Ende einer Strecke, die ihm wie etliche Meilen vorkam, schälte sich endlich der Umriss von Neuschwabenland aus dem Zwielicht.
    Das Unterwasserhabitat hatte bei dem Beben einiges abbekommen. Von den Außenscheinwerfern, die den Bereich unterhalb der Schleusenkammer erhellten, brannte höchstens noch die Hälfte. Außerdem kam es Henry so vor, als stünde der gesamte Aufbau irgendwie schief. Als er mit seinen Lampen in die Runde schwenkte, stellte er fest, dass einer der sechs Stützpfeiler eingeknickt war. Die ganze Station hatte sich daraufhin um mehrere Meter zur Seite geneigt. An etlichen Stellen trat Luft aus dem riesigen Druckkörper aus, sprudelte in endlosen weißen Bläschenschnüren der
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