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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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fortgeschrittenem Alter und einigen degenerierten Egos mehr hielt ein anderer Faktor in unsere Klasse Einzug: das Schüler-Mobbing. Das wird von der Mehrzahl der Lehrer ignoriert oder abgetan, gehört aber zum deutschen Schulalltag wie die Luft zum Atmen. Spätestens in Klasse sechs wurden aus den täglichen verbalen Attacken handfeste Schlägereien. Vielfach provozierten gleich ganze Gruppen von Mobbern gezielt einzelne Schüler so lange, bis diese sich nicht mehr anders zu helfen wussten als zuzuschlagen, und die Mobber hatten ihre Legitimation gefunden,endlich mal zutreten zu können und ihren eigenen Frust in die Opfer hineinzuprügeln. Lehrern gegenüber, die die Meute auseinanderzerrten, wurde einstimmig erklärt, dass es doch der einzelne Schüler war, der angefangen hatte zu prügeln. Im Grunde war es aber auch völlig egal, wer wann und wo zu wem was gesagt oder zugeschlagen hatte, denn sanktioniert wurde asoziales und destruktives Verhalten nicht   – und wenn doch, dann so unzureichend, dass man die Tage an einer Hand abzählen konnte, wann wieder die Fäuste flogen.
    Die Stimmung in der Klasse verschlechterte sich zusehends. Aus Freunden wurden Feinde und die Intervalle, in denen gemobbt wurde, verkürzten sich, bis es regelmäßig jeden Tag in jeder Pause passierte. Die breite Masse der Schüler war froh, dass es sie nicht traf, und sie taten so, als würden sie es nicht mitbekommen. Immer wieder versuchten die Mobber auch mich bzw. meinen damaligen besten Freund zu zermürben, was ihnen schlechterdings nicht gelang. Erst mit dem Wechsel meines Kumpels in eine andere Schule änderte sich die Situation. Was harmlos begann und zu Anfang noch witzig wirkte, schlug schnell um und wurde immer aggressiver. Spätestens im zweiten Halbjahr der 6.   Klasse hatte ich regelrecht Angst, in die Schule zu gehen. Das Problem zu thematisieren und mithilfe der Lehrer zu lösen, war unmöglich. Die verbale und konsequenzlose Ermahnung der Lehrer war so schnell vergessen, wie sie ausgesprochen war. Doch die »Petze« bekam die Rache der Mobber postwendend zu spüren. Also hielt ich die Klappe und zog mich zurück. In der Konsequenz rutschten meine Noten ab. Nicht so dramatisch, dass es meiner Schullaufbahn erheblich schaden konnte, aber sie rutschten ab. Auf dem Zeugniskopf fand sich die Bemerkung: »Daniel war ein zurückhaltender Schüler, der zwar dem Unterricht aufmerksam und interessiert folgte, sich aber viel zu selten an den Gesprächen beteiligte.« Aus der Rückschau bemerkenswert ist auch, dass der Zähler meiner versäumten Tage von durchschnittlich 4   –   5   Tagen pro Halbjahr, in Klasse 6 schlagartig auf 29 anstieg. Mit dem Ende der 6.   Klasse wurden die Eltern in die Schule bestellt, um über die Zukunftsaussichten und den weiteren schulischen Werdegang ihrer Zöglinge beraten zu werden. Die Regeln waren einfach: Hatte ein Schüler mindestens zwei Zweien in den Hauptfächernim Zeugnis, so sprachen die Lehrer eine Gymnasialempfehlung aus. Der Rest bekam, je nach Benotung, eine Realschul- oder eine Hauptschulempfehlung. Ob man einer Empfehlung, die auf subjektiven Noten beruht, folgen soll, sei dahingestellt. Jedenfalls gibt es keinen Zwang, sich dem Rat der Lehrer zu beugen. Davor steht nach wie vor der Elternwille, der nach dem gescheiterten Änderungsversuch des Landesparlaments noch immer schwerer wiegt. 1
    Meine Eltern hatten von den Lehrern nichts von dem alltäglichen Schülermobbing oder den Problemen in der Klasse erfahren, sondern sich nur erklären lassen müssen, dass ich auf der Realschule besser aufgehoben sei als auf dem Gymnasium. Existenzweiche, die Erste. Mein Vergehen? Ich hatte nicht die geforderten zwei Zweier in den sogenannten Hauptfächern. Dreier waren nicht genug und Zweier in anderen Fächern zählten nicht. Für meine Eltern und mich gab es keine Diskussion darüber, dass ich aufs Gymnasium gehen würde. Sie kannten mich besser als meine Lehrer. Ich wusste damals schon, dass ich studieren wollte, und zwar »Film- und Fernsehregie«. Für mich gab es keine Alternative zum Gymnasium. Meine Eltern und ich entschieden uns gegen den Rat der Lehrer. In der Rückschau betrachtet war das die beste Entscheidung, die wir treffen konnten. Doch mit meinem Wechsel auf ein deutsches Gymnasium, diese hochgeschätzte altehrwürdige Bildungseinrichtung, ging es mit den skurrilen Erfahrungen erst richtig los.
     
    Meine neues Schuldomizil für die Klassen 7 bis 11 fand ich in einem
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