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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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Berliner Gymnasium. Es war ein sonniger Tag und die Putzfrau hatte ganze Arbeit geleistet, sodass die gesamte Schule frisch nach Zitronen roch. Man kann sagen, dass wir ein wenig gespannt waren, vielleicht sogar neugierig, denn heute war der Tag, an dem wir unseren neuen Kunstlehrer, Herrn A., kennenlernen sollten. Wir warteten vor unserer Klasse im ersten Obergeschoss, als ein schlanker Mann mit einem faltigen Gesicht den Gang entlanggehetzt kam. Er hatte fettige Haare, war schlampig gekleidet, roch nach Alkohol und hatte Mundgeruch. Er begrüßte uns und bat uns, ihm zu folgen. Er sprach sehr leise, sodass man nah an ihn herantreten musste, wenn er mit einem redete, um überhaupt etwaszu verstehen. Bei den genannten körperlichen Voraussetzungen war das kein Vergnügen. Herr A. ging mit uns durch das gesamte erste Stockwerk. Irgendetwas war es   – irgendetwas schien er zu suchen. Er schaute sich immer wieder um, las Türschilder, lief die Treppen zum zweiten Stockwerk hoch und wir folgten ihm. Er wurde unruhig, verdoppelte das Tempo, und so liefen wir eine Weile durch die Gänge unserer Schule, durch den Chemietrakt, durch noch mehr Gänge, durch das dritte Obergeschoss und die Oberstufenräume, bis wir wieder in der Empfangshalle vor dem Lehrerzimmer ankamen. Herr A. war inzwischen wütend und stürmte bereits auf das Sekretariat zu, als wir ihn fragten, was er denn gesucht habe. Er drehte sich abrupt um und sagte: »Die Kunsträume natürlich!« Ein großes Raunen ging durch die Runde. »Die sind im dritten Stock!«, sagten wir. »Blödsinn!«, schrie er. »Da waren wir doch eben!« Doch dann dämmerte ihm, dass wir vielleicht recht haben könnten. Wir liefen also wieder hoch in den dritten Stock und tatsächlich: Da waren sie! Hinter der Glastür rechts, nicht links. Herr A. war überrascht und schloss die Tür auf. Er unterrichtete seit zehn Jahren an dieser Schule   – als einziges Fach Kunst. Vielleicht war es weniger das mangelnde Erinnerungsvermögen als die Alkoholfahne, die eine Begründung für dieses wirre Verhalten lieferte.
    Es war ein Phänomen an unserer Schule. Nach einiger Zeit kam ich mir vor wie bei »Verstehen Sie Spaß?«. Vielleicht war ich auch, ohne es zu wissen, in die »Pension Schöller« geraten   – die nie verfilmte Serienfassung, ohne Pension, dafür in einer Schule, mit einer Besetzung von vor fünfzig Jahren. Serie deshalb, weil es immer weiterging. So wurden wir zum Beispiel von Frau F. in Geschichte unterrichtet, einer älteren Frau mit weißen Haaren, einer runden Brille und stets schlechter Laune. Wie Frau B. war sie des Lachens nicht mächtig und ihre Mundwinkel zeigten nach unten. Sie unterrichtete seit etwa 25   Jahren an dieser Schule. Irgendwann mitten im Schuljahr hatten sich besonders einfallsreiche Oberstufenschüler einen Scherz erlaubt und unser Türschild geklaut. Den meisten der Lehrer ist es nicht mal aufgefallen, uns war es egal, und doch sollte es skurrile Auswirkungen haben. Geschichte war angesagt. Doch Frau F. erschien nicht. Nach 15   Minuten entschieden wir uns, zum Lehrerzimmer zu gehen. »Ja, Frau F. ist da«,versicherte man uns. Wir gingen also wieder zurück in unser Klassenzimmer und warteten, bis die Klingel die Stunde beendete und die nächste einläutete. Es war eine Doppelstunde. Nun betrat Frau F. wutentbrannt unsere Klasse. Was wir uns dabei gedacht hätten, so etwas Bescheuertes! »Das wird Konsequenzen haben! Einfach das Türschild abzuschrauben!«, krähte sie. Dass wir damit a) nichts zu tun hatten, b) daran nichts ändern konnten und c) Frau F. dann doch die Einzige war, die auf diesen Scherz reinfiel, interessierte sie nicht. Aber sie verdiente unser Mitleid: 25   Jahre topografische Erfahrung in einer Schule in einer extremen Stresssituation ausgelöscht   – um sich dann am Ende auch noch von der Sekretärin den Weg in unsere Klasse beschreiben zu lassen: »Aus dem Lehrerzimmer raus, rechts den Gang runter, dritte Tür links.« Auf der rechten Seite des Ganges gab es übrigens nur Fenster zum Hof.
    Angestochen von dieser Geschichte, die natürlich sofort wie ein Lauffeuer durch die Klassen ging, sollte sich unsere Parallelklasse ein paar Tage später etwas anderes für Frau F. einfallen lassen. Da jeder Lehrer im Klassenbuch festhalten musste, wer wann und wo anwesend bzw. abwesend ist, gab es im vorderen Teil des Buches eine Klassenliste mit den Namen der Schüler. Frau F. unterrichtete diese Klasse nun seit einem Jahr, hatte
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