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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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her. Eine AG ist ein Geschenk für jeden Lehrer.AGs sind freiwillige Veranstaltungen, finden immer nach dem Unterricht statt, liegen somit außerhalb des Lehrbetriebs und obliegen keinen rechtlichen oder inhaltlichen Zwängen oder Vorgaben über die offensichtlichen hinaus. Im Endergebnis bekam Frau M.-H. also ihren vollständigen Kräutergarten. Irgendwann fand sie allerdings heraus, dass unsere Nachbarschule nicht nur einen größeren Garten, sondern auch noch das absolute Schmuckstück und Neidobjekt eines jeden Biolehrers im Bezirk besaß: einen eigenen Teich. Was aus diesem Bauvorhaben wurde, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis, da ich mit dem Ende der 11.   Klasse die Schule wechselte.
    Das Erschreckende an diesen Beispielen ist, dass es eben auch Lehrer wie Herr A., Frau F. und Frau M.-H. sind, die über ihre Schüler völlige Notengewalt besitzen, sie »beurteilen« müssen, über die Zukunft oder Nicht-Zukunft ihrer Zöglinge entscheiden. Denn ob ein Lehrer einen Drang zum Alkoholkonsum besitzt, sich an den langen Beinen seiner Schülerinnen aufgeilt oder bereits an Demenz erkrankt ist, erscheint hinter der erteilten Note auf dem Zeugnis nicht.
     
    Dass Noten nicht nach objektiven Standards vergeben werden,war inzwischen jedem Schüler klar. Doch welche unsichtbaren Kräfte klammheimlich die Notenvergabe maßgeblich mitbestimmten,eröffnete sich uns erst später. Die erste dieser beiden Kräfte besitzt den Namen Karl Friedrich Gauß. Der deutsche Mathematiker Karl Friedrich Gauß, geboren im 18.   Jahrhundert in Braunschweig, war schon zu Lebzeiten ein anerkannter Wissenschaftler, dessen Vermächtnis unter anderem in Form der »Gauß’schen Normalverteilung« die Noten eines jeden Schülers in Deutschland mitbestimmt. Die in der Schule angewandte»Gauß’sche Normalverteilung« dient dazu, Schüler zu klassifizieren, sie einzuteilen und vor allen Dingen bei der Bewertung homogen über das gesamte Notenspektrum zu verteilen. Nach dieser statistischen Formel muss es in jeder Klasse immer eine geringe Anzahl von Schülern geben, die sehr gute Leistungen bringen. Ferner muss sich die Mehrheit im Mittelfeld und einige wenige im unteren Drittel der Notenskala befinden. Mathematisch belegbar, angeblich. Wahrscheinlich sogar, doch in der Praxis hat dieses Modell schwerwiegende Auswüchse, denn das Notenspektrum der Schüler soll immer dieser Verteilung entsprechen. Das heißt, dass z.   B. eine Ansammlung von Schülern im oberen Leistungsdrittel mathematisch ausgeschlossen ist   – unabhängig vom tatsächlichen Leistungsstand der Klasse. Nicht die Realität hat Gewicht, sondern die theoretische Formel, die als Dogma gesetzt wird. Falls sich die Realität einmal anders darstellt und es zu jener Ansammlung im oberen Drittel kommt, wird gefolgert, dass der Unterricht zu einfach gestaltet sei und dass die Bewertungskriterien nicht hart genug angelegt würden. Dass ein Schüler eventuell keine Eins mehr verdient, gemessen an objektiven Standards, ist dann in der Praxis irrelevant, wenn er im letzten Semester eine Eins bekommen hat und es genug Schüler gibt, die sich nach Gauß auf der Notenskala verteilen lassen. Am anderen Ende der Skala impliziert es, dass jemand, der im Semester zuvor eine Fünf bekam und sich objektiv auf eine Vier gearbeitet hat, wieder   – weil es in die Formel passt, passen muss   – eine Fünf bekommen kann.
    Wie unhinterfragt und unkritisch Lehrer die Normalverteilung befolgen, eröffnete sich mir unter anderem im Deutschunterricht in der 10.   Klasse. Gegen Ende des Schuljahrs gab Frau K. uns allen eine Einschätzung unserer Leistungen. Zum Schluss schaute sie uns etwas hilflos an und sagte: »Ich muss noch eine 5 vergeben.« Sie hatte auch bereits drei Kandidaten ausgemacht. Doch zweihatten ihre Lektionen gelernt und wehrten sich mit Händen und Füßen gegen die Note. Als Frau K. begriff, dass sie die Fünf nicht einfach so hinter einen Namen in ihr Notenbuch schreiben konnte, fing sie an, den anderen Kandidaten zu bearbeiten. »Kannst du die noch vertragen?«, fragte sie. Das hieß, sie wollte wissen, ob er im Zeugnis eine ausgleichende Note vorweisen konnte. Großzügigerweise wollte sie niemandem die Versetzung in die nächste Klasse verbauen. Niemand wollte gerne eine Fünf auf dem Zeugnis stehen haben, doch schließlich gab der Schüler auf und gestand, noch eine ausgleichende Zwei zu haben. Frau K. nickte und verteilte ihre Fünf, losgelöst von Leistung,
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