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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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und hört nicht mehr zu. Vielleicht ist ihm nicht einmal bewusst, wo er sich befindet. Die ganze Zeit wiederholt er still in sich, dass das Geheimnis nicht enthüllt werden darf, nicht für einen lebenden Menschen, nicht einmal für ihn selbst. Hinter diesem Geheimnis ist der Fremde her. Dieses Geheimnis wollen alle aufdecken und sich darüber empören, aber es ist auch das einzig Wertvolle, das Martin noch besitzt.
    Die Wahrheit über das Leben eines Menschen verbirgt sich immer hinter dem Schweigen. Das hat Martin gelernt. Deshalb will er das Geheimnis mit sich nehmen, wenn er geht, und es im Schweigen begraben. Es ist auch eine Frage der Rache. Indem es andere nie erfahren, kann er sich endlich und endgültig für die Beleidigungen rächen, denen er ausgesetzt war. Auch wenn er fort ist, wird er in ihrer Erinnerung weiterleben, in dem Bild, das sie von ihm haben. Und sie werden nie erfahren, wer er wirklich war.
    Der Stewart ist an den Tisch gekommen. Vermutlich hat ihn die Bedienung gerufen. Er fragt den Fremden ruhig, ob alles in Ordnung sei, erhält aber eine irritierte Handbewegung zur Antwort.
    »Ja, ja«, sagt der Fremde dann. »Alles in Ordnung. Bringen Sie uns doch bitte einen trockenen Weißwein, den wir uns teilen. Die Flasche geht auf meine Rechnung.«
    Der Stewart verbeugt sich. Er hat gelernt, Menschen zu unterscheiden, und weiß, wem er mit Respekt begegnen muss. Trotzdem entschließt er sich, im Raum zu bleiben. Ihm gefällt der Ausdruck in den Augen des anderen Mannes nicht. Er ist unheilverkündend.
    »Es gibt keinen Grund, warum wir Feinde werden sollten«, meint der Fremde nun versöhnlich. »Ich weiß, ich bin etwas geschwätzig und neugierig, aber ich versichere, dass keine Bosheit dahinter steckt.«
    Er kommt nicht an Martin heran. Dieser sieht durch sein Gegenüber mit Augen hindurch, die nichts wahrnehmen, und schweigt weiter.
    Bosheit. Martin brummt leise vor sich hin und erinnert sich. Die Schläge mit der Blumenschere. Irene. Oiva und die Finnen. Die Polizei, die ihm in den Bauch schlug. Die Staatsanwältin und ihre kalten Augen. Alle, die ihn gekränkt und verhöhnt und dabei ihr Vergnügen gehabt haben. Der lebenslange Verrat. Die kalte Zurückweisung von denen, die sagen, sie seien anders, und die immer meinen, dass sie mehr seien als er selbst. Schließlich die schlampige Verkommenheit – der Spatz und Leonard.
    Die Bosheit trifft immer den Schwachen, und wenn dieser sich ein einziges Mal mit denselben Mittel zu wehren versucht, wird er bestraft. Er wird nicht nur als schuldig, sondern auch als unmenschliches Ungeheuer hingestellt, dass man ausrotten muss. Es gibt niemanden, der begreift, dass er selbst – Martin – nicht glaubt, eine Schuld zu tragen. Nicht mehr Schuld als alle um ihn herum.
    »Lieber Freund«, der Fremde legt behutsam seine Hand auf Martins krampfartig geballte Faust. »Lassen Sie uns trinken und zusammen fröhlich sein. Deshalb machen wir ja diese Reise.«
    Diese Worte dringen zu Martin durch und er schneidet eine Grimasse. Er weiß wieder, wo er sich befindet und was geschieht, aber auch, was geschehen muss. Er hört an der einschmeichelnden Stimme, dass sich nichts geändert hat oder sich je verändern wird. Der Kerl ihm gegenüber spielt mit ihm, wie er mit allen spielt. Wenn er den Anschein zu erwecken sucht, dass sie gleichgestellt sind, so ist das nur eine Hanswurstrolle, die er spielt. Es gelingt ihm nicht, seine Selbstbezogenheit zu verbergen, und er wird nie das Gefühl der Überlegenheit verlieren, die Triebfeder in seinem Leben.
    Martin erhebt sich. Er hat genug, und es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Es ist still im Saal geworden, und alle verfolgen inzwischen mit steigendem Interesse, was vor sich geht. Ihnen scheint, dass Martin zu einem Riesen aufwächst, und als er sich dann vor dem Fremden verbeugt, feierlich und förmlich, wissen sie nicht recht, was sie von ihm halten sollen. Einige wenden verlegen das Gesicht ab, man hört aber auch einfältiges Kichern von einem der Tische.
    Nur das Gesicht des Fremden erstarrt vor Erstaunen, aber auch vor Angst. Er ist der einzige, der den Revolverkolben aus Martins Hosenbund ragen sieht. Er wird erst sichtbar, als Martin sich aufrichtet. Er hat vergessen, dass Sakko zuzuknöpfen. Es dauert einige Zeit, bis der Fremde sich wieder fasst. Er überlegt. War es wirklich ein Revolverkolben, den er sah, oder bildet er sich das nur ein? Soll er es dem Schiffsoffizier mitteilen? Muss er sich immer in alles
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