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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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Reeder und seine prominenten Gäste bestimmt. Heutzutage ist es dank der Errungenschaften der Demokratie für alle und jeden offen. Hier gibt es keinen Türhüter. Die französische Speisekarte, die im Schaukasten draußen mit großen Buchstaben und Zahlen ausgehängt ist, sorgt schon mit ihren Preisen dafür, dass der Pöbel ferngehalten wird.
    Die große Masse der Passagiere drängt sich um das kalte Buffet des riesigen Speisesaals im Vorderschiff. Die Leute dort werden später beim Tanzen und in den Bars miteinander konfrontiert werden. Gegen die frühen Morgenstunden hin, wenn der Alkohol, die schmachtenden Töne eines schmalzigen Sängers und die aufreizenden Rhythmen des Orchesters das Blut in Wallung gebracht haben, beginnt das Kopulieren. Alle menschlichen Triebe können auf diesem protzigen Schiff befriedigt werden, das in seinem Inneren die heuchlerische Seele eines Kupplers verbirgt.
    Martin hat an all dem kein Interesse. Er sitzt allein an einem Tisch im Reedersaal und fühlt sich schon nicht mehr so bedrückt und unsicher wie vorhin, als er hereinkam. Er hatte mit der Möglichkeit gerechnet, abgewiesen zu werden. Ein prüfender Blick der Bedienung wich einem Lächeln der Akzeptanz. Keiner der übrigen Gäste hob die Augenbrauen.
    Martin hat Probleme mit dem Revolver.
    Er ist viel zu groß und unhandlich für die Sakkotasche. Zuletzt entscheidet er sich, ihn in die Hosentasche zu stecken. Das ist unbequem und er muss das Sakko zuknöpfen, aber es geht nicht anders.
    Die Frau, die an seinem Tisch bedient, ist reservierter geworden. Sie behandelt ihn noch immer sehr höflich, lächelt aber nicht mehr. Martin ist über die Veränderung nicht erstaunt. Genauso geht es ihm immer, er fühlt sich aber nicht irritiert. Kleinigkeiten stören ihn nicht mehr. Er brummt etwas vor sich hin, aber nicht so laut, dass es Aufmerksamkeit erregt. Martin ist mit dem Hauptgericht fast fertig, und es ist noch ein Glas in der feinen Flasche Wein, die er bestellt hat. Da legt jemand eine Hand auf seine Schulter, und er zuckt zusammen. Einen Augenblick flimmern Bilder der Erinnerung an den Ungarn und den Hufschmied vorüber. Als er sich umdreht, sieht er ein Paar spöttische Augen, die er fürchtet und denen er zu entfliehen versucht.
    »So treffen wir uns wieder. Wie ist die Welt doch klein! Darf ich mich dazusetzen?«
    Es ist der Fremde aus der Kneipe, der Mann mit den listigen Augen und der käuflichen Zunge, der immer Fragen stellt und überall auftaucht, der aber nie seinen Namen verrät. Es ist der Alp. Er wartet Martins Antwort nicht ab, sondern zieht einen Stuhl heran und setzt sich ihm gegenüber.
    »Wie nett«, sagt er. »Wir konnten uns das vorige Mal nicht zu Ende unterhalten.«
    Martin merkt, wie die Unruhe und die Angst zum Leben erwachen. Die Unruhe und die Angst, die er mehr als einen Tag nicht gefühlt hat und die er nicht mehr fühlen will. Diesmal gedenkt er dagegen zu kämpfen, und er schüttelt das Unbehagen von sich ab. Die glauben, dass sie ihn fangen können, aber sie wissen nicht, dass es zu spät ist.
    »Ich habe keine Angst mehr vor Ihnen«, sagt Martin und bohrt seinen Blick in den des anderen. Er sieht kraftvoll und drohend aus.
    Zum ersten Mal scheint der Fremde bestürzt zu sein. Er sitzt lange Zeit mäuschenstill, und man sieht ihm an, dass er sich bemüht zu begreifen.
    »Angst?«, fragt er ungläubig. »Warum sollten Sie Angst vor mir haben?«
    Martin lächelt sarkastisch. Der Kerl kann nie mit einer offenen Antwort kommen, sondern stellt immer eine Gegenfrage.
    »Sie verfolgen mich«, antwortet Martin laut mit einer Stimme, die mehr triumphierend als abweisend klingt. Jetzt drehen sich einige Leute zu ihnen um.
    »Aber Sie werden nichts davon haben«, fährt Martin fort und reckt das Kinn vor, als habe er nichts zu fürchten.
    Der Fremde macht eine Geste, als versuchte er, Martin zum Schweigen zu bringen. Dann zuckt er mit den Schultern. Man merkt, dass er betreten ist, denn er runzelt sie Stirn, als suche er nach einer vernünftigen Erklärung für etwas, das er für unerklärlich ansieht.
    »Was sagen Sie? Warum sollte ich Sie verfolgen?«, fragt er bestürzt. »Wie kommen Sie denn darauf?«
    Als Martin nicht antwortet, beugt sich der Fremde über den Tisch und senkt die Stimme zu einem Flüstern.
    »Was ist das für ein Geheimnis, das ich angeblich aufdecken will?«, fährt er vorsichtig fort. »Was, glauben Sie, will ich wissen?«
    Martin schweigt weiter. Er verschließt sich in sich selbst
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