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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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der mit dem Pelz bekleidete Mann, der ihm entgegenkam, zu denen gehörte, die erwarten, dass alle ihnen Platz machen. Einer der Auserwählten. Dieser Kerl kam mit raschem Schritt daher, eingehüllt in eine abweisende Aura von Selbstvertrauen und Selbstgefälligkeit. So soll ein wahrer Machthaber aussehen. Der feste Schritt ist das sicherste Kennzeichen. Man kann nicht Würde, Distanz und unbeugsame Willenskraft mit gespielter Leutseligkeit verbinden, ohne dass es lächerlich wirkt.
    Als sie noch fünf Schritte trennten, trafen sich ihre Blicke. Ein kurzer, schneller Moment. Martin sah ein herablassendes, vielleicht amüsiertes, vor allem aber gebieterisches Gesicht. Die Botschaft war deutlich und klar: Geh zur Seite! Mach mir Platz! Weißt du nicht, wer ich bin?
    Im nächsten Augenblick stießen sie zusammen. Es war ein sanfter Zusammenstoß, nicht mehr als ein Schubs, obwohl Martin weiter geradeaus ging und keine Lust hatte auszuweichen. Er drehte im Gegenteil seine linke Seite, wo der Revolver war, nach vorn, so dass der den Stoß auffing.
    Nicht Martin, sondern der andere versuchte auszuweichen. Er ging einige Schritte zurück, und in einem gefrorenen Augenblick, als alles stillstand in der Erwartung, dass sich die Bedrohung entlud, krümmte sich der Raum und umfasste nur die beiden Männer. Dann setzten sich die Uhren des Bewusstseins wieder in Gang, und Martin konnte wahrnehmen, dass sich die Augen des anderen wie ein Kaleidoskop veränderten, von kühlem blau zu erregtem Rot, um sich dann zu verdunkeln und tief in die Höhlen zurückzufallen. Es war, als sei eine Maske von dem Gesicht des Auserwählten fortgerissen worden. Er begann die Lippen wie ein Fallsüchtiger zu bewegen, es drang aber kein Laut hervor, nicht einmal ein ärgerliches Murmeln.
    Martin spürte, wie sich seine Wangen röteten, glühend vor Lust an der Willkür. Der Auserwählte hatte das Raubtier erkannt. Tief in unseren Erbanlagen liegt eine Furcht davor verankert, Auge in Auge jemandem gegenübergestellt zu sein, der keine Barmherzigkeit besitzt oder nicht einmal weiß, was das ist. Es gehört zur Stärke des Menschen, diese lähmende Furcht zu bezwingen und nicht den einzigen Ausweg in blinder Flucht zu sehen, sondern kaltblütig den sichersten Weg für den Rückzug zu wählen.
    Als Martin sich umdrehte und sah, wie der Pelzgekleidete eilig die rettende Wärme einer Gaststätte aufsuchte, breitete sich ein verklärtes Lächeln über sein Gesicht. In der Kälte sah es aus, als sei er zu einer stoischen Bildsäule erstarrt. Dort am Eingang des Restaurants grüßte der Kellner ehrerbietig. Die Ordnung schien wiederhergestellt. Der Auserwählte wurde wieder wie ein Auserwählter behandelt.
    Dennoch war etwas Bedeutungsvolles geschehen. Der Auserwählte war für kurze Zeit seiner Stärke beraubt gewesen, und es sollte einige Zeit dauern, bis er sie völlig wiedergewann. Martin hatte dieses Stückchen Macht übernommen, und bald sollte er nach mehr rufen. In den nächsten Stunden ging er in dem Rausch umher, den der Starke spürt, wenn er den Schwachen erniedrigt hat.
    Der Revolver, der ihm Kraft und Selbstvertrauen gibt, stellt auch ein Problem dar. Mehrmals ist Martin versucht, sich in eine Kneipe oder ein einfaches Restaurant zu wagen, um sich niederzulassen und ein Bier zu trinken. Er spürt den langen Spaziergang in den Beinen, und der Magen beginnt nach Essen zu rufen. Trotzdem wagt er es nicht. In den meisten Lokalen muss man seinen Mantel aufhängen oder jemandem abgeben, der missmutig in der Garderobe sitzt. Das Risiko ist viel zu groß, dass jemand ganz einfach aus Fummeltrieb oder Langeweile in den Taschen zu wühlen beginnt, die Waffe findet und Alarm schlägt. Das Problem muss sich irgendwie lösen lassen. Er ist ja bekannt dafür, ein praktischer und geschickter Mann zu sein. Das sagen sie an seiner Arbeitsstelle, wenn sie ihn bei einer Mistsache um Hilfe bitten. Entweder ist er gezwungen, eine eigene Revolvertasche herzustellen, oder er muss sich etwas anderes ausdenken, so dass er in Zukunft die Waffe mitnehmen und sich gleichzeitig frei und ungehindert bewegen kann.
     
    Die Beleuchtung ist in diesem Teil der Stadt schlecht. Vielleicht entdeckt Martin die drei Jungen deshalb erst, als sie nur noch dreißig Schritte entfernt sind. Die Straße ist eng und nicht vom Schnee geräumt. Es ist nicht viel mehr als ein Seitenweg, kein Mensch wohnt hier. Martin kann nirgendwo Licht in den Fenstern sehen. Die verschlossenen Eingangstüren
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