Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schulaufgaben

Schulaufgaben

Titel: Schulaufgaben
Autoren: Jutta Allmendinger
Vom Netzwerk:
ihr das Elterngeld gezahlt. Und das Betreuungsgeld? Susanne und Michael hätten es niemals in Anspruch genommen. Alex würde auch heute in die Krippe gehen. Lauras und Erkans Eltern bekämen
nun zwei Jahre lang 150 Euro für ihre Kinder. Deutsch würde Erkan so aber höchstwahrscheinlich auch nicht lernen. Jennys Mutter ginge leer aus. Sie bekäme weder Elterngeld noch Betreuungsgeld und keinen Anreiz, ihre Tochter in eine Krippe zu geben. Unser Bildungssystem lässt Kinder wie Jenny und Erkan bereits an der frühesten und wichtigsten Stelle außen vor.

Gewinner und Verlierer

KAPITEL 5
Alex im Glück
    Was Schule auch sein kann
     
    Alexander ging auf ein traditionsreiches Gymnasium unweit seines Elternhauses. Generationen vor ihm hatten diese Schule besucht. Betrat man in diesem Stadtteil eine Buchhandlung oder das Geschäft des alteingesessenen Metzgers und kam die Sprache auf die Schule der Kinder, so hieß es häufig: »Ach, da war ich auch.« Das klang eher heroisch als freudig, so als ob man selbst bereits die schwerste Lebensprüfung bestanden hätte. Nun schaute man bedauernd und anerkennend zugleich auf die Jugend, die diese Strecke noch vor sich hatte. Traf man Menschen außerhalb der Stadt, erging es einem ähnlich. Alle hatten von der Schule gehört, als ob es nur diese eine gäbe. Die neuen, modernen Schulen zählten nicht. Sie galten als einfach. Dabei kannte man sie gar nicht. Man hatte seine Urteile, pflegte seine Vorurteile.
    Mich machte das kirre. Ich kam nicht aus der Stadt, war viel gereist, oft umgezogen. Wie konnte es sein, dass eine Welt so in sich geschlossen war oder zumindest so wirkte? Wie passte diese Tradition mit all den Zetteln zusammen, die sich in der Schultasche von Alex knüllten? Fasste man Traditionen nicht in Bücher? Ich muss gestehen: Diese Schule wurde mein Revier, mein kleines Labor, das mir zeigte, wie eine Schule tickt. Susanne und Michael bezogen mich als Patentante von Alex nach wie vor eng ein. Manchmal begleitete ich sie sogar zu einem Elternabend.
    Ich lernte viel. Vor der Einschulung hatte ich naheliegende Fragen gestellt: Wie viele der in der fünften Klasse eingeschulten
Schüler machen bei Ihnen Abitur? Wie hoch ist die Quote der Zurückstellungen? Wie ernst ist es Ihnen mit den sogenannten weichen Fächern? Welche Unterrichtsformen setzen Sie ein? Ist Ihnen Projektarbeit wichtig? Welchen Raum geben Sie bürgerschaftlichem Engagement der Schülerinnen und Schüler? Gibt es Vertrauenslehrer? Werden die Eltern eingebunden? Wie viele Stunden fallen im Schuljahr aus?
    Die Reaktion auf meine Fragen war glasklar. Frau Besserwisserin. Frau Kontrollneurotikerin. Frau Ehrgeizling. Man versuchte, mich in die Defensive zu drängen. Warum ich denn nicht Vertrauen in das Kind hätte? Das war gar nicht mein Thema. Warum ich mich nicht auf die jahrzehntealte Expertise der Schule verlassen wolle? Das wollte ich ja. Mich interessierte nur, woraus sich diese Expertise zusammensetzt.
    Man blieb vage. Manches wussten die Lehrerinnen und Lehrer nicht. Die Zahlen und Fakten, die die Forschung wie ein Eichhörnchen über Schulen und Schüler emsig sammelt, standen vor Ort nicht zur Verfügung und wurden auch nicht erfragt.
    Warum kam Alex auf dieses Gymnasium? Für Susanne und Michael zählte zunächst die Nähe. Die vertraute Umgebung, mit der Grundschule um die Ecke. Die Freunde von Alex, die mehrheitlich auf diese Schule gingen. Das Traditionelle, Robuste und Bekannte. Bei Alex kam noch etwas hinzu: die Aussicht auf ein freies Jahr. Denn die elfte Klasse wurde nicht beschult. Alle Schülerinnen und Schüler verbrachten stattdessen ein Jahr im Ausland. Um die Komplexität der unterschiedlichen internationalen Schulsysteme zu umgehen, wurde in der zwölften Klasse auf Grundlage des Stoffes aus dem zehnten Schuljahr unterrichtet. »Da schreibe ich dann ein Jahr lang nur Sechsen.« Alex grinste töricht und stolz. »Das zählt ja nicht, und ihr könnt auch nicht meckern.«
    Wie sehr sollte er sich mit seiner Prognose irren.

    Alex absolvierte Schuljahr für Schuljahr. Er wollte nicht sonderlich viel lernen, konzentrierte sich nur schlecht. Immer hatte er Hummeln im Hintern. Dass er klug war, stellte niemand infrage. Doch für Klugheit allein bekommt man keine guten Noten. Ab der neunten Klasse erhielt er Nachhilfe. Ich verbrachte weiterhin viel Zeit mit ihm und der großen Familie. Noch wollte, durfte und konnte Alex mit mir in den Urlaub fahren. Wir machten die unmöglichsten Sachen. Er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher