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Schulaufgaben

Schulaufgaben

Titel: Schulaufgaben
Autoren: Jutta Allmendinger
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hinterließ bei Alex einen tiefen Eindruck. Vielleicht fühlte er sich in diesem Moment erwachsen. Vielleicht fühlte er sich sehr persönlich angesprochen und sehr ernst genommen. Ihm wurde gesagt und gezeigt, dass er gerade viel geleistet hatte. Er selbst und nur er. Ganz alleine in den Räumen einer fremden
britischen Oberschule. Er durfte die Lehrer mit Jack und Steve ansprechen, die Direktorin mit Gwendolyn, und tat dies vom ersten Moment an mit großem Respekt.
    Jack zeigte uns dann die Schule. Sie besteht aus vielen Häusern, alle gebaut im typisch englischen Stil. Um die Gebäude herum liegen die kleinen Häuser der Schülerinnen und Schüler. Jedes Haus fasst fünf bis sechs Zimmer, die jeweils von zwei Schülern bewohnt werden. Unten befinden sich der Aufenthaltsraum, eine kleine Küche und der Haushaltsraum mit Waschmaschine. Im Erdgeschoss lebt der »Warden«, der Hauslehrer. Er ist verantwortlich für das Leben im Haus. An ihn können sich die Jugendlichen wenden. Doch er wacht auch über die Hausregeln und über den curfew , das Einhalten der Sperrstunde um 23 Uhr. Am Ende eines Terms hält der Warden seine Eindrücke über die soziale Entwicklung des jeweiligen Jugendlichen schriftlich fest. Seine Einschätzung ist Bestandteil der Zeugnisse. »Oh, ist das interessant hier«, flüsterte Susanne mir zu. »Wäsche waschen kann Alex gar nicht. Und die Zimmer sind ja richtig klein. Hier ist das Leben für ihn viel anstrengender als daheim.«
    Bei unserem Rundgang warfen wir einen Blick in die Klassenräume. In der Mitte stand ein großer Tisch. Acht bis fünfzehn Schüler saßen dort, dazwischen die Lehrerin oder der Lehrer. Die Schüler kamen aus vielen unterschiedlichen Ländern, das sah man auf einen Blick. Eine Schuluniform gab es hier nicht, wohl aber einen Dresscode. Die Kleidung war leger und sportlich. Draußen, auf den Fluren der Schule, sah man Bilder über Bilder: Sportveranstaltungen, Exkursionen, Entdeckungen  – und jede Menge Porträts von Schülerinnen und Schülern. Sie standen bildlich im Vordergrund, nicht die Schulleiter. Wann hatte ich ein solche »Ausstellung« letztmals gesehen? Ich grübelte. Nach einer Weile kam mir der Integrationskindergarten in den Sinn. Auch damals ging es um das »Hier-sind-wir«.

    Hier wie dort möchte man zeigen, was im Innern passiert. Dabei werden Passepartouts oder Rahmen unwichtig und auch, ob ein Nagel die Wand verunstalten könnte. Vor fünfzehn Jahren bestaunten wir Bilder der Kleinkinder an den Wänden des Kindergartens. Nun standen wir vor den Fotos der Schülerinnen und Schüler, die in diesem College unterrichtet wurden. In der Zwischenzeit war uns nichts Ähnliches begegnet. Die Schulflure, die wir kannten, waren weiß getüncht und leer gewesen. Allenfalls Pokale standen in Vitrinen.
    Wir verabschiedeten uns, dankten und gingen zurück in die kleine Stadt. In Cambridge gibt es viele Schulen und Colleges, man sieht es sofort. Die Geschäfte zielen auf Menschen zwischen sechzehn und sechsundzwanzig, ebenso das Kinoprogramm, die Pubs und Cafés. Große Buchläden finden sich an jeder Ecke. Die textbooks sind nach Fächern sortiert, außerdem wird zwischen used books und new books unterschieden. Susanne, die Innenarchitektin, meinte unvermittelt: »Hier möchte ich auch noch einmal her, lesen und lernen. Das hatte ich nie.«
    Die Heimfahrt war ruhig. Susanne sprach über das Geld. Die Schule war alles andere als billig. Zum Schulgeld kamen noch Unterkunft und Verpflegung hinzu. Ihr Vater, auch ein Architekt, übernahm diese Kosten für ein Jahr. Ein Geschenk an seinen ältesten Enkel. Das Geld für ein Schuljahr war nicht das Problem. Das unterschied die Familie von der großen Mehrzahl der Deutschen. Für alle drei Kinder hätte man das Geld ohne Weiteres nicht aufbringen können. So wohlhabend war die Familie nun auch nicht. Daher gab die Verteilung unter ihren Kindern den Eltern schon zu denken. Aber Alex wurde angemeldet.
    Die Monate bis September 2010 vergingen schnell. Susanne eröffnete ihr eigenes Geschäft für Innendesign und war in der Anfangsphase zeitlich weniger flexibel als sonst. Daher konnte nur Michael seinen Ältesten zu seinem ersten Schultag
begleiten. Da ich mich zu der Zeit beruflich in England aufhielt, traf ich mich an der Schule mit den beiden.
    Ein riesiger Trubel. Die Schüler der Abschlussklassen des Colleges begrüßten die Neuen und wiesen sie ein. Wir absolvierten viele Stationen: füllten bei der Krankenschwester
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