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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig
Autoren: Katrin Jäger
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Viktoria Latell, die so großartige Geschichten in der großartigen Zeitung schrieb.
    Konstantin arbeitete beim Radio. Er hatte eine tiefe Stimme, die er je nach seiner Zielsetzung warm und wohlig oder hart und zynisch klingen lassen konnte. Ihr war sie zuerst verfallen.
    Er selbst kam später dazu.
    Viktoria legte sich aufs Bett, das mal wieder bezogen werden musste. Ausziehen, Zähne putzen – vielleicht morgen? Das Licht ließ sie an, das half manchmal. Wenn der Gleichgewichtssinn vom Alkohol gerüttelt wurde, suchte sie sich immer einen Punkt an der Wand, starrte darauf wie eine Seekranke und hoffte auf Besserung. Der Punkt, den sie sich dieses Mal gesucht hatte, war nicht geeignet.
    Sie hatte ihn die Nacht zuvor selber kreiert, weil sie eine Mücke mit Narziss und Goldmund erschlagen hatte. Das Buch hatte ihr Konstantin mal geschenkt und gesagt, er sei wie einer der beiden Hermann-Hesse-Helden. Sie mit ihrer gigantischen Menschenkenntnis wüsste sicher gleich, welcher. Und sie hatte es natürlich gelesen, das Buch. Tatsächlich kam sie nur schleppend voran, und am Ende wusste sie überhaupt nichts mehr. Entweder war Konstantin ein Flachleger, der durch die Gegend zog, Frauen erst glücklich, dann unglücklich machte und sein Leben in Einsamkeit verbringen musste, oder ein fanatischer Gläubiger, der sein Kloster nicht verließ und schwule Tendenzen hatte. Aber wahrscheinlich war die Botschaft viel einfacher: Lass die Finger von Konstantin!
    Doch das tat sie nicht. Denn sie fühlte sich verwegen intellektuell, dass sie mit jemandem Sex hatte, der der Held eines Buchs war, das sie nicht einmal verstand.
    Der Fleck, den die zerquetschte Mücke hinterlassen hatte, war relativ groß. Sie hatte sich offensichtlich vor dem Totschlag schon bei Viktoria bedient und so verteilte sich rund um den zerborstenen Mückenkörper ihr eigenes Blut an der Wand. Sie rülpste und hatte das Gefühl, jemand packte sie an den Füßen und schleuderte sie durch den Raum.
    »KONZENTRIEREN TORI!«, lallte sie und starrte wieder auf den Fleck an der Wand. »Tief atmen! Starren!«
    Dabei hatte sie doch eigentlich kein Problem mit Blut. Zumindest nicht mit ihrem eigenen. Mehrere Jahre hatte sie sich damit sogar ein kleines Zusatzgeld verschafft. Einmal im Monat rief die Charité an, weil sie weiße Blutkörperchen brauchten. Fünfundsiebzig Euro gab es pro Spende, und weil Viktorias Rhesusfaktor negativ und damit relativ selten war, brauchten sie ihr Blut oft. Irgendwie genoss sie es, wenn sie ihr in den linken Arm stachen, das Blut über einen langen Schlauch durch eine Maschine leiteten und es ihr dann in den rechten Arm zurückpumpten. Bin ich etwa eine Masochistin? Viktoria grinste, und ihre Augen fielen zu. Sofort startete das Karussell. »Leute, Leute, Leute, anschnallen, anschnallen, anschnallen – und es geeeeeht los!«
    Sie riss die Augen wieder auf, und ihr Blick fiel auf Narziss und Goldmund .
    Doch bevor sie ihr übliches Repertoire von Schimpfwörtern ausgestoßen hatte, musste sie doch eingeschlafen sein.
    Elisabeth Upphoff stand im Wohnzimmer und betrachtete das schwarz-weiße Foto auf der Eichenanrichte. Ihr Mann Ferdinand war darauf noch zwanzig Kilo leichter, und er sah ein bisschen wie James Dean aus. Aber das fand nur sie.
    Es war eine traditionelle Trauung gewesen, wenn auch nicht ohne kleine Extravaganzen, die Elisabeth – damals noch Baumkötter – still und leise durchgesetzt hatte. So hatte sie ihr Kleid in einer schlichten geraden Form schneidern lassen und dafür gesorgt, dass man ihre zarten Knie sehen konnte, die der wortkarge Ferdinand immer so gerne kitzelte.
    Das Bild von Ferdinand mit der Tolle verschwamm, Elisabeth weinte. Ferdinand hatte verschlafen. Er hatte nicht gesehen, dass weiße Rosen auf dem Tisch standen. Er hatte nicht die reparierte Taschenuhr seines Großvaters gesehen, die in blauem Geschenkpapier neben dem hart gekochten Ei lag, nicht die aufgebackenen Brötchen gerochen, den geräucherten Schinken probiert – alles hatte sie vorbereitet. Alles zum Hochzeitstag.
    Viktorias Wecker brummte, als sie gerade den Kampf gegen den Kater aufgab und sich im Badezimmer erleichterte. Als sie blass ins Schlafzimmer zurückwankte, war aus dem leisen Brummen ein schrilles Schreien geworden. Sie schlug auf die Aus-Taste. Was für ein beschissener, beschissener Tag.
    Aber wenigstens ging es ihr ohne ihren Mageninhalt erheblich besser. Die Lösung für den Abend konnte nur lauten: Badewanne,
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