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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig
Autoren: Katrin Jäger
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Schützenfest steigen soll – und da sind Sie dann die ganze Zeit dabei. Der Siewers kommt auch mit, sagen Sie ihm, ich will das volle Programm. Porträts von rotgesichtigen und fetten Uniformträgern, Porträts von der spießigen Amok-Hausfrauen-Emanze und natürlich die Bilder vom Fest selbst. Kotzende Schützenbrüder, kreischende Weiber, na ja, und ein paar extreme Militaristen wären auch nicht schlecht, Sie wissen schon. Diese Typen, die auf Marschieren und Schießen stehen.« Er hatte keinen Popel gefunden, sein Zeigefinger kratzte jetzt seinen gegelten Scheitel, und ein paar zusätzliche Schuppen rieselten auf seine Schultern.
    »Kann ich machen. Aber interessiert das hier in Berlin eigentlich irgendjemanden?« Viktoria widerstand dem Reflex, die Schuppen von seiner Schulter zu wischen. »Ich meine, gibt es in Brandenburg nicht auch Schützenvereine oder so was? Müssen wir dafür extra nach Westdeutschland fahren?«
    Der Chef antwortete nicht, sondern winkte sie mit seinem Zeigefinger heran. Dann tippte er auf den Papierausdruck eines Fotos. Viktoria stellte sich neben ihn und schaute erst auf seinen wurstigen Zeigefinger, dann auf das Bild. Sie zog die Luft scharf ein – und ihr Chef grinste wie ein kleiner Streber. »Erkennen Sie das da?«
    Viktoria nickte. »Ich denke schon.«
    »Na, dann haben Sie doch noch einen Grund mehr, mal aufs Land zu reisen. Finden Sie die Ratte!«, sagte er. Viktoria spürte ihren Magen. »Wenn es sie denn jemals gab.«
    Damit war alles gesagt. Als sie ihm den Rücken zugedreht hatte, hustete er, zog danach laut Rotz inklusive Popel hoch und sagte: »Frau Latell, sagen Sie mal, sind Ihre Schuhe von Gucci?«
    »Nein«, sagte sie und drehte sich nach ihm um. »Die sind von Deichmann.«
    Das war eine glatte Lüge.
    Die Ratte finden! Viktoria sank auf ihren Schreibtischstuhl und atmete tief durch. Ihre Finger bearbeiteten wie von selbst die Tastatur. Sie tippten »Rattenmörder« und »Müggelsee« in das Suchfenster des hauseigenen Online-Archivs. Neunundzwanzig Treffer verkündete die Schrift auf dem Bildschirm. Viktoria druckte das Archivmaterial aus. Während der Drucker seinen Dienst tat, wippte sie nervös mit ihren Beinen. Da sie dabei immer wieder mit ihren Knien von unten an die Schreibtischplatte stieß, vibrierte die Colaflasche.
    »Hey, Langbein, hör auf mit dem Gewackel«, neckte sie ihr Kollege Charly.
    Doch Viktoria hörte ihn nicht. Nachdem die Ausdrucke vor ihr lagen, öffnete sie die Fotoangebote der Agenturen. Sie tippte »Westbevern« ein, und auf dem Bildschirm erschienen zwei Bilder. Eines war das klassische HvA-Motiv. Haus von Außen. Für jeden Fotografen ein Muss – auch beim Express . Egal, worum es ging, ob Mord, Lottogewinn, Kindesmisshandlung, Promi-Rendezvous – ganz egal –, immer musste es ein Foto von dem Gebäude geben, wo das Ereignis stattgefunden hat. So zeigte das erste Motiv zum Stichwort Westbevern eine Gaststätte. »Gasthaus König« stand in altdeutscher Schrift über der schwarzen Eingangstür, das Mauerwerk war hell, das Fachwerk dunkelbraun. Die Bildunterschrift, die Caption, sagte: »Gasthaus von Telgte, Ortsteil Westbevern/55-Jährige plante Amoklauf/Versammlung des Schützenvereins gestürmt/Polizeieinsatz/Amokläuferin Alkoholvergiftung.« Am Bildrand sah man ein Polizeiauto, dahinter einen Krankenwagen. Das war’s. Das zweite Bild war dasselbe, das ihr Chef vorhin mit seinem Zeigefinger bearbeitet hatte. Es zeigte den Raum, in dem die Schützenversammlung stattgefunden hatte. Tische, dunkelrot gepolsterte Stühle, Parkettboden. Kein Mensch war zu sehen. Stattdessen eine weiße Wand. Doch daran hing ein großes Stoffbanner. Nur das interessierte Viktoria. Darauf stand in goldener Schrift »Schützenverein Westbevern«. Daneben, ebenfalls in Gold auf Fahnenstoff gewebt, hockte ein Biber. Viktoria nahm den Stapel mit den RattenmordArtikeln. Sie kannte sie alle, denn sie hatte die meisten davon selbst geschrieben. Es dauerte nicht lange, und sie hatte, was sie suchte. Der Text war überschrieben mit: Die feige Ratte vom Müggelsee . Die Unterzeile lautete: Sarahs Mörder hinterließ rätselhaftes Geständnis. Es war der zweite oder dritte Artikel zu dem Neujahrsmord gewesen. Die Geschichte war groß aufgemacht, zwei Seiten, sieben Fotos, eine Grafik. Ein Foto zeigte ein Porträt von Sarah. Sie sah hübsch aus und älter als achtzehn. Sie hatte lange schwarze Haare, einen knallrot geschminkten Mund, dunkelbraune Augen, blasse
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