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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig
Autoren: Katrin Jäger
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also eine Leiche gefunden?«
    »Genau. Beim Spaziergang mit meinem Hund Theo. Der will ja sogar bei diesem Mistwetter raus.«
    »Ich verstehe.«
    »Ja, und da schnüffelt er im Gebüsch herum, ich will ihn holen, und da liegt sie.«
    »Sie? Also eine Frau?«
    »Nein, eher ein Mädchen. O Mann, ich glaube, mir wird gerade schlecht.«
    »Keine Panik, Herr Kock. Sie haben alles richtig gemacht. Sagen Sie mir, wo Sie sind, ich komme sofort, und dann regeln wir alles. Ja?«
    »Ja.« Er atmete hörbar.
    »Ich rufe die Polizei, und gleich sind wir da.« Robert Kock beschrieb ihr genau, wo er stand. Den Hund hatte er inzwischen an die Leine genommen.
    Viktoria wollte aus der Wohnung stürmen, doch ihre Mutter hielt sie fest, klammerte sich hilflos an sie und griff nach ihrer dicken Winterjacke. »Mama, lass mich. Leg dich schlafen, ich muss arbeiten!«
    Während sie zum Auto lief, telefonierte sie schon mit Mario Siewers. Sie wusste, dass der Fotograf heute Dienst hatte – und dass er immer zu schnell fuhr. Gut so! Sie dirigierte ihn zum Fundort am Müggelsee. Kock hatte ihn sehr genau beschrieben. »Mario, wir sind die Ersten. Die Polizei ist noch nicht informiert. Also beeil dich!«
    Es war saukalt in Viktorias Lada-Geländewagen. Selbst schuld, dachte sie. Sie wollte ja unbedingt ein Auto, das so aussah, als sei ihr egal, was für ein Auto sie fahre. Und nun hatte sie also diese zugige Kiste. Doch die Kiste fuhr und rappelte Richtung Friedrichshagen. Viktoria kannte die Strecke in- und auswendig. Im vorletzten Sommer hatte sie sich öfter mit Paul – oder hieß er Peter? – am Ufer des Sees getroffen. Er fand das unglaublich romantisch und sehr angenehm, mal raus aus dem Kreuzberg-Rummel zu sein. Viktoria drückte das Gaspedal durch und lächelte. Sex unter freiem Himmel war einfach nicht ihr Ding. Und Liebesschwüre im Vollmondschein noch weniger. Also vergaß sie Paul – oder Peter – und erinnerte sich nur noch an den richtigen Weg. Die Stelle, die ihr Herr Kock beschrieben hatte, kannte sie auch. Am kleinen Badeufer mit Blick auf die alte Brauerei hatte sie mit ihrem verliebten Verehrer gelegen. Als er sie küsste, hatte sie sich geärgert, dass er die strahlende Sonne über ihr verdunkelt hatte. Strahlende Sonne – unvorstellbar an einem Tag wie diesem. Es war grau. Es war kalt, geschätzte minus zehn Grad. Der Berliner Wind wehte. Scharf und unerbittlich. Gerade als die Heizung den Lada aufzuwärmen begann, war Viktoria da. Sie parkte an dem Seitenstreifen mit den Parkverbotsschildern und knallte die Tür zu. Sie wusste, dass sie schon längst die Polizei hätte anrufen müssen, aber die Versuchung war einfach zu groß. Sie als Erste am Tatort, der Chef würde jubeln.
    Im Stechschritt marschierte sie Richtung Müggelsee. Ein paar Äste schlugen ihr beinahe in die Augen, doch sie schüttelte nur den Kopf. Dann entdeckte sie einen Mann in beigefarbenem Mantel. Herr Kock, dachte sie und sah, wie dessen Hund Theo an der Leine zerrte. »Herr Kock«, rief sie und hob die Hand. Der Mann drehte sich in ihre Richtung. Sie erkannte ihn nicht wieder. Sein Hund bellte. Eifrig hob er seine Hand und winkte sie heran.
    Als sie vor ihn trat, bemerkte sie auch Mario, der in einigem Abstand Fotos von der Leiche im Gebüsch machte. Er hatte das große Teleobjektiv auf die Kamera geschraubt. Schließlich wusste auch er, dass er nicht zu nah an den Tatort gehen sollte, um sich Ärger mit der Polizei zu ersparen. Viktoria widerstand ihrem Reflex, gleich neben ihn zu eilen, sondern gab Herrn Kock die Hand. Es fühlte sich an, als hätten sich zwei Eisklumpen berührt.
    »Kalt, ganz schön kalt«, murmelte der Mann.
    Sie nickte nur. Ihre Finger waren – obwohl sie so schnell gegangen war – ganz starr. Sie schaffte es kaum, das Handy aus ihrer Daunenjackentasche zu fummeln. Als sie es mit der klammen Hand umschloss und herauszog, fielen ein benutztes Tempo und eine leere Kaugummiverpackung zu Boden. Bevor sie sich bücken konnte, wehte der Wind den ganzen Müll durch die Luft. Ihre Haare peitschten ihr ins Gesicht und in die Augen. »Autsch!«, fluchte sie, strich sich die lange Ponysträhne aus dem Gesicht und wählte die Nummer der Polizei.
    Ein paar Stunden später saßen sie an Marios Laptop in der Redaktion. Sie hatten Zeit, die Zeitung war schon fertig. Aus dem Mord an dem achtzehnjährigen Mädchen war erst einmal nur ein kleiner Text mit einem briefmarkengroßen Foto vom Tatort geworden. Für den Schub wurde alles
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