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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig
Autoren: Katrin Jäger
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offensichtlich aufzog?
    Doch sie blieb ganz ruhig. »Ja, stimmt. Ist ja nicht weit«, sagte sie und putzte Biergläser. Sie grübelt bestimmt darüber nach, ob der Typ mit dem schnellen Auto ein Angeber, ein Dummkopf oder einfach nur ein arroganter Großstädter ist, dachte Viktoria und zog Mario am Ellbogen vom Barhocker zu dem derben Eichentisch, der in einer der von noch derberen Eichenbalken abgetrennten Nischen stand.
    »Willkommen auf dem Lande«, sagte sie.
    »Wohl eher in der Hölle«, erwiderte Mario und blinzelte Richtung Wirtin, die mit gesenktem Blick immer noch die Gläser putzte. »Haben die hier alle so rote Köpfe?«
    »Mario!«
    »Richtig trendy sind sie hier. Guck mal, der Kittel hat dieselbe Farbe wie dein Pulli. Okay, das Blumenmuster ist ein bisschen gewagter als dein lahmes Ding – aber rosa ist rosa – und das ist en vogue .«
    »Eben nicht, du Penner. Mein Pulli ist pink, die Kittelfrau ist eindeutig rosa.«
    »Ja, das stimmt. Sogar Ganzkörper-Rosa! Ob die Farbe in ihrem Gesicht von Douglas ist? Rosé de Province pour la Landpommeranzé.«
    Viktoria lächelte mild. Mit Mario konnte man herrlich lästern.
    »Aber jetzt mal ernsthaft, Victory. Was ist das wieder für ein bescheuerter Auftrag, den uns der Alte da gegeben hat? Gestern sollte ich noch bis zur letzten Minute Tom Cruise vor dem Borchardts auflauern, statt nett mit dir im Zug zu sitzen. Ich hasse es, müde im Auto zu fahren. Und das nur, um dieses fucking Schützenfestamokding zu machen.«
    Viktoria lächelte immer noch. »Ja, so isser, unser Chef. Gradlinig, vorhersehbar und ein Arsch. Willst du auch ein Frühstück?«
    Nachdem Harrys rosa Frau wortlos helle Brötchen, zwei Scheiben Käse, ein kleines Töpfchen Erdbeermarmelade, ganz fein geschnittenen Schinken und eine große Kanne Kaffee gebracht hatte, wurde Viktoria langsam munterer und erzählte Mario von dem Amoklauf, der eigentlich gar keiner war. »Wir sollen so eine Provinzschmonzette machen«, sagte sie und blickte dabei versonnen auf die Kittelschürze von Harrys Gattin.
    Mario las die zerknitterte Agenturmeldung. Er gähnte.
    Sie senkte die Stimme. »Und es gibt noch etwas …«
    »Ich hoffe, das ist aufregender als das hier«, Mario ließ die Meldung auf den Tisch segeln.
    »Der Chef denkt, dass wir hier die Ratte vom Müggelsee finden. Erinnerst du dich?«
    »Du meinst den Neujahrsmord? Der seltsame Bekennerbrief mit dem Wasserzeichen, der neben Schneewittchens Leiche lag?«
    »Genau den meine ich. Und jetzt kommt’s …«
    »Victory, mach es nicht so spannend.«
    »Die Ratte ist ein Biber, und der Biber ist im Vereinslogo von den Schützenbrüdern, die den Hausfrauenamoklauf überlebt haben.«
    »Bist du sicher?«
    »Japp!«
    »Cool!«
    »Genau!«
    Dann sprachen sie über den Schützenfestablauf, damit sie keine wichtige Veranstaltung verpassen würden, und Viktoria jammerte über ihre miese Ankunft gestern Nacht in Westbevern.
    Von dem Toten mit den wasserblauen Augen, den sie vom Zugfenster aus gesehen hatte, und davon, dass er ihr später, kurz vorm Schlafengehen, noch einmal begegnet war, davon erzählte sie nichts.
    Um 23.18 hatte der Zug mit kreischenden Bremsen angehalten. Viktoria war die Einzige, die ausstieg. Ihre Schritte hallten in dem dunklen Fußgängertunnel, ein paar Neonfunzeln flackerten, und Heerscharen von Motten stürzten sich in Todeslust aufs Licht. Auf der anderen Seite der Gleise suchte sie nach gelb-schwarzen Taxischildern – doch alles, was sie sah, war eine gelb-schwarze Katze, die hinter einem leeren Fahrradständer verschwand.
    Kein Taxi, kein Problem für Victory. Sie zog ihr Handy aus der Tasche, um über die Auskunft eines zu rufen. Keine Chance. In Westbevern, so erklärte es ihr ein Stammgast von Harry und der Rosafrau später, in Westbevern habe man mit E-Plus keinen Empfang. Das heißt, hinter dem Koppelkreuz bei Bauer Beuing und auch manchmal vor der Tür der Gaststätte, da ginge es. Aber ob das an der Windrichtung oder an der Luftfeuchtigkeit läge, das wusste er – also der Stammgast von Königs Gasthaus – auch nicht.
    So stand sie da, mitten im Funkloch, mitten in der Nacht. Es war inzwischen 23.21 Uhr. Und es war still. Kein Autolärm, kein U-Bahn-Grummeln, keine besoffenen Teenager. Nur ein Vogel erhob seine helle Stimme. »Halt die Fresse und geh pennen!«, motzte Viktoria. Er flatterte hektisch davon. Sie blickte ihm nach. Wolkenberge türmten sich vor dem Halbmond am Himmel, und die ersten drei Tropfen
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