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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif
Autoren: Isabel Morf
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die beiden schluchzten bloß. Als Seppli auftauchte, erschraken sie so sehr, dass Valerie ihn hinunterschickte. Die Kleinen konnten weder Deutsch noch Portugiesisch, noch verstanden sie die paar Brocken Türkisch, die eigenartigerweise Markus beizusteuern wusste. Und auf das Kroatisch, das der Kunde an ihnen ausprobierte, reagierten sie ebenso wenig. Valerie nahm die beiden an der Hand und ging mit ihnen zur Regionalwache Wiedikon hinüber. Sie lag ganz in der Nähe, auf der anderen Seite des Platzes, ein altes Eckhaus zwischen Birmensdorfer- und Stationsstrasse.
    »Ich habe wieder mal Strandgut abzuliefern«, sagte sie zu Polizistin Elmer, die Dienst hatte. Man kannte sich. In den FahrGut war schon eingebrochen worden, Valerie hatte einmal bei einem Kaffee über die Diebstähle gejammert, und vor ein paar Monaten hatte sie einen verwirrten alten Mann, der nicht ins Altersheim zurückfand, auf der Wache abgeliefert. Außerdem war Zita Elmer dafür zuständig, den Drittklässlern im Quartier auf dem Pausenplatz des Ämtlerschulhauses das Velofahren beizubringen und sie in die Verkehrsregeln einzuweisen. Dabei fuhr sie eines der Falträder, das die Stadtpolizei im FahrGut für diesen Zweck gekauft hatte.
    Zita Elmer war Ende 20, groß, etwas massig, hatte kurzes blondes Haar. Ursprünglich Krankenschwester, hatte sie bald nach der Ausbildung umgesattelt, die Polizeischule absolviert, sich in Zürich beworben und einige Jahre Streifendienst gemacht. Auf der Polizeischule hatte sie ihren Mann kennengelernt, der in Höngg Dienst tat. Seit fünf Jahren arbeitete sie in Wiedikon, seit einem Jahr leitete sie die Wache. Sie war gerne Polizistin. Krankenschwester war sie geworden, weil sie es mochte, mit Menschen zu tun zu haben und einen lebhaften Betrieb liebte. In einem Spital passierte etwas mit den Menschen. Sie wurden krank eingewiesen und verließen den Ort meist wieder gesund. Viele Patienten mochten sie, weil sie optimistisch und auf eine etwas resolute Art einfühlsam war. Sie konnte beispielsweise sehr sanft Blut abnehmen. Andere mochten sie nicht. Das waren diejenigen, die mutlos waren, sich kampflos ihrer Krankheit ergaben. Diese Patienten empfanden sie als grob. Nach wenigen Jahren fühlte sie sich nicht mehr wohl in der Spitalwelt. Sie bewegte sich in einer permanenten Ausnahmesituation, so kam es ihr zumindest vor, aber sie wollte doch mitten im Leben stehen, dort, wo etwas los war. So wurde sie Polizistin. Sie hatte keine Angst vor Hektik, vor sich schnell verändernden Situationen, vor Konflikten. Ob sie sich nachts mit jugendlichen betrunkenen Partygängern herumschlug, die sie beschimpften, oder ob sie sich nachmittags einer alten verängstigten Frau annahm, der auf dem Heimweg die Handtasche entrissen worden war – beides waren Facetten ihrer Arbeit, auf beide Situationen konnte sie sich sehr rasch einstellen. Die Arbeit im Quartier gefiel ihr. Sie wurde meist mit kleineren Delikten und Regelverstößen konfrontiert, mit Situationen, in denen die alltägliche Ordnung verletzt wurde und es ihr oblag, sie wiederherzustellen. Aber sie betrachtete diese Arbeit nicht als oberste Stufe ihrer Karriereleiter, denn sie war ehrgeizig. Zwei, drei Jahre würde sie weitere Erfahrungen sammeln, bevor sie sich beim Kommissariat Ermittlung oder beim Kommissariat Fahndung bewerben wollte.
    Als die beiden kleinen Mädchen die große Frau in der Uniform sahen, weinten sie noch mehr. Aber Zita Elmer wusste bereits Bescheid.
    »Ein Problem weniger«, sagte sie zufrieden. Sie liebte es, Fälle zügig zu lösen. »Der Vater der Kleinen hat angerufen. Drei und vier Jahre alt sind sie. Irena und Diana. Eben erst in der Schweiz eingetroffen. Durch die halb offene Wohnungstür abgehauen. Albanisch hätten Sie mit ihnen reden müssen. Na ja, kann ich auch nicht.« Sie wandte sich an die Mädchen. »Offenbar seid ihr zwei fixe kleine Abenteurerinnen, Irena und Diana. Muss der Papa halt besser auf euch aufpassen, was?«
    Die Mädchen, die aufmerkten, als ihre Namen fielen, schauten mit großen Augen die fremde Frau an und wurden still.
    Zita Elmer griff zum Telefon und rief den Vater an. Sie reichte das Telefon den Kindern weiter, die, ohne selbst den Mund aufzutun, hineinhorchten.
    »Er wird gleich kommen«, sagte Elmer. »Happy End in Sicht.«
    Valerie und Zita Elmer unterhielten sich noch ein paar Minuten, dann verabschiedete sich Valerie. Sie überlegte einen Augenblick, ob sie Elmer von dem Drohanruf erzählen sollte, ließ
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