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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen
Autoren: Amity Gaige
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Unterlagen kramte, sich auf die Suche machte nach Mitschülern von der Highschool – was weiß ich, auf der Karte von Cape Cod nach Twelve Hills suchte. Immerhin hatte ich im zarten Alter von vierzehn meine Lebensgeschichte geschrieben, und wahrlich keine sonderlich ausgeklügelte.
    Es mag vielleicht verwundern, dass ich bis dahin kaum Angst vor Entlarvung gehabt hatte. Vielleicht deshalb, weil ich verrückt bin (wovon die meisten nun ausgehen, die über meinen Fall gelesen haben). Aber ich will es dir sagen : Ich glaube, ich hatte deshalb keine Angst, weil ich vor so langer Zeit und so erfolgreich zu Eric Kennedy geworden war, dass ich später wirklich und wahrhaftig dieser Mensch war , mehr als jemals ein anderer. Mehr als Menschen üblicherweise sie selbst sind. Denn wo andere ohne eigenes Dazutun gut oder schlecht, fröhlich oder pessimistisch sind, hatte ich die Chance auf ein bewusstes Ich, ein willentliches Ich ohne Blindstellen. Und dieses Ich gehörte zu den Guten – das dachte ich wirklich, und sehr viele andere dachten das auch. Und ich ging davon aus, dass ihm die Belohnungen und Vergütungen zugesprochen würden, die den Guten gebühren (zum Beispiel Clebus & Co. Makler des Monats, Februar 2007). Aber in diesen Tagen, als ich nicht zu meiner Tochter durfte, übermüdet, unrasiert, dehydriert war, da erkannte ich, wie leicht mein Leben Feuer fangen konnte.
    Ich erkannte, dass meine Liebe zu Meadow das Letzte wäre, was in den Flammen umkäme.
    Gerade, als ich anfing davon zu träumen, mich im Thacher Park von einem Felsabhang zu stürzen, erhielt ich deinen Gnadenakt mit der Post. Du hattest mir meinen Mittwoch zugestanden.
    Natürlich gab es Grenzen. Ich dürfte sie nur von der Schule abholen (jene katholische Schule, die immer schon ein Streitpunkt zwischen uns war) und müsste sie spätestens Punkt achtzehn Uhr wieder bei dir abliefern. Gemeinsame Zeit netto: drei Stunden und dreiundzwanzig Minuten.
    Erschöpft und beduselt unterschrieb ich.
    Unsere elterliche Vereinbarung schwebte durch die Gerichte Albanys, um per Stempel amtlich gemacht zu werden.
    Meadow kam noch am selben Nachmittag und brachte Haferflockenkekse mit, die ihr zusammen gebacken hattet. Es fällt mir nicht ganz leicht, mein Glück zu beschreiben, als ich sie aus dem SUV ihres Großvaters steigen sah. Es war so gut wie in all den besten Momenten. So gut wie damals, als ich sie als Neugeborenes auf dem Arm hielt, so gut wie der Moment, als sie mein gesamtes offizielles Schreibpapier mit den Buchstaben des soeben gemeisterten Alphabets beschmierte. Ich drückte sie an mich und sagte mir, es kämen auch wieder bessere Zeiten. Zeiten der Heilung, Zeiten des Neubeginns. Auch sie schien sich über das Wiedersehen zu freuen. Wir aßen die Kekse alle auf einmal auf.
    Zurückversetzt in den Zustand des Wahns hegte ich erneut die Vorstellung, dass du mich noch immer liebtest.
    Danach, na ja, war ich vermutlich mein letzter verbleibender Feind.
    * * *
    Dann kam der Winter. Der erste Winter nach unserer Trennung. Das Immobiliengeschäft erfuhr gewaltige Einbrüche – der erste kleine Schritt in Richtung dessen, was sich zur Finanzkrise auswachsen sollte. Ich unternahm den Versuch, mein Forschungsprojekt wiederaufzunehmen. Aber ich fing mir ein Virus ein, lag im Fieberwahn da und klammerte mich an dein altes Seitenschläferkissen. Ich guckte Animal Planet ohne Ton und versuchte mir auszudenken, was die Tiere wohl wirklich zueinander sagten. Ich versuchte mich an die Hausmittel meiner Kindheit in einfachen Verhältnissen zu erinnern. Ich versuchte zu vergessen, dass es fast Weihnachten war. An diesem Punkt bekam ich Schwierigkeiten mit den Unterhaltszahlungen.
    Die verletzlichen Jahre.
    Das kann man wohl sagen.
    Was weiß ich noch von meinen eigenen verletzlichen Jahren, lang ist’s her? Der pfeifende Wasserkessel. Meine Mutter und ich, in Schweigen gehüllt. Die Freude über eine Banane. Die Freundschaft mit einem Hund. Ein Lied über Lenins Stirn. Pollengestöber im Frühjahr, Dampfbäder, ein ständig kaputter cremefarbener Trabi, Suchlichter, salzige Karamellbonbons in Wachspapier, die einzigartige Schmach, eine Fliege tragen zu müssen. Das war’s. So wenig, und doch so viel.

FEBRUAR
    Aber weiter im Text. Du möchtest wissen, wie ich dazu kam, das zu tun, was von allen Seiten als verhängnisvolle Entscheidung hinsichtlich unserer Tochter angesehen wird. Es gab jede Menge peinliche und schlecht recherchierte Berichte, und mir ist klar,
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