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Schottische Disteln

Schottische Disteln

Titel: Schottische Disteln
Autoren: Christa Canetta
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helfen, andererseits konnte er sie nicht im Stich lassen: Ihre Männerehre stand bei den Wettbewerben auf dem Spiel. Sie waren seine einzigen wirklichen Freunde, sie kannten und akzeptierten ihn als ihresgleichen. Sie würden alles tun, um ihm zu helfen, das Gleiche aber erwarteten sie auch von ihm.
    Ganz anders war es bei den so genannten Freunden in der Stadt. Bei denen wusste er nie, warum sie sich um seine Freundschaft bemühten. War er selbst es, den sie mochten, oder war es sein Geld, sein Einfluss, seine Macht, die sie schätzten? Er würde es nie erfahren und musste daran denken, was ihm sein Vater damals gesagt hatte, als er ihm die Firmen übergab: »Du stehst an der Spitze, und da stehst du allein, denn auf der Spitze gibt es niemals Platz für zwei. Du hast Macht, und du hast Geld, aber einen Freund hast du da oben nicht. Du wirst sehr einsam sein, aber diesen Preis musst du bezahlen.«
    Und doch hatte er Freunde gefunden, allerdings solche, die seine wahre Identität nicht kannten. Keiner von ihnen ahnte, dass ihr Kumpel Ryan in Wirklichkeit einer der reichsten Unternehmer Schottlands war. Die Männer hier wussten nicht, dass ihm die Gregor-Werften für Ölplattformen in Aberdeen gehörten, sie ahnten nichts von seiner Viehzucht. Niemand hatte ihnen je verraten, dass es sein Land war, das sie über ein Büro in Elgin gepachtet hatten. Nicht im Traum wären sie auf die Idee gekommen, dass sie in seinen Wäldern rodeten und in seinen Seen angelten.
    Gerade deshalb wusste er, woran er bei ihnen war. Und nun sollte er das alles infrage stellen? Ließ er die Männer jetzt im Stich, brauchte er sich hier nicht mehr sehen zu lassen. Andererseits: Ging er für sie auf den Trödelmarkt und wurde erkannt, würden sie sich genauso zurückgestoßen fühlen, denn er hatte sie jahrelang getäuscht. Sie hielten ihn für einen einfachen Schäfer, der mit der Herde im übrigen Jahr im Tiefland lebte, und für einen Hobbyfischer, der das unberechenbare Meer genauso liebte wie sie.
    Ryan setzte sich auf einen Findling und sah zur Herde hinüber, die Ajax umkreiste, während sich die Hündin neben ihm niedergelassen hatte. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der Tag versprach schön zu werden. Ryan beschloss, nach dem Frühstück an seinem Schuppen weiterzubauen. Er wollte ihn so vergrößern, dass er das Boot bequemer hineinziehen konnte, wenn er abreiste. Auch am Dach musste einiges gerichtet werden, die Stürme der Wintermonate hatten eine Menge Schindeln gelockert.
    Er betrachtete seine Hände. Blasen und Schwielen würden bald von körperlicher Arbeit zeugen. Aber genau das war es, was er hier wollte: handfeste, schwere Arbeit bis zum Umfallen und eine gesunde Müdigkeit, die ihm abends in allen Knochen steckte.
    Ryan stand auf, befahl den Hunden, bei der Herde zu bleiben, und machte sich auf den Rückweg.
    Seine Gedanken kreisten dabei weiter um sein Dilemma. Nur ein einziger Mensch wusste von seinem Doppelleben: William, sein alter Viehzüchter, der die Angusrinder auf Black Isle und die Schafe im Tiefland mit seinen Gehilfen betreute. Nur er kannte das Cottage hier oben, weil er die Schafe und die Hunde herbrachte und wieder abholte. Und er kannte natürlich auch Ryans eigentliches Zuhause: Gregor Castle am Ufer des Dee. Dieses große, für ihn allein unbewohnbare Haus, hatte Ryan für einen symbolischen Preis von einem Pfund an die Stadt Aberdeen verkauft – allerdings mit der Auflage, innerhalb von drei Jahren ein Waisenhaus mit allen notwendigen Schulen darin einzurichten.
    Die Stadtväter waren mit Begeisterung darauf eingegangen. Das Haus war baulich in erstklassigem Zustand und die gesamte Anlage gepflegt. Man suchte schon lange nach Räumlichkeiten, um verwaiste Kinder zusammenzubringen, die in kleinen, unwürdigen und über das ganze Land verteilten Unterkünften leben mussten.
    Er selbst war ins Kutscherhaus gezogen und hatte viel Spaß an den Kindern, die durch den Park tobten, den Rasen zum Fußballplatz umfunktionierten und die zahllosen Obstbäume plünderten. Er hatte ihnen einen Stall voller Ponys hingestellt, sorgte für den Pferdepfleger und das Futter und erlaubte den Kindern, wann immer sie wollten, die Tiere zu besuchen. Er hatte eine gute Hand im Umgang mit den Jungen und Mädchen und bedauerte sehr, keine eigenen Kinder zu haben.
    Ryan seufzte. Wie schön wäre es, wenn ein Junge neben ihm durch die Heide schlendern, über Findlinge springen und Rebhühner aufscheuchen würde. Oder wenn
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