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Schokoherz

Schokoherz

Titel: Schokoherz
Autoren: Alice Castle
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Daily News gehörte, brachte entweder volle Leistung – oder ging über Bord.
    Für einen Außenstehenden sahen unsere Schreibtische alle absolut identisch aus: jeden zierte ein hochmoderner Monitor und eine Schwemme von Papier. Die flugzeughallengroße Fläche des Großraumbüros war, so weit das Auge reichte, in Kabäuschen unterteilt. Insider erkanntenjedoch sofort die offensichtlichen Grenzlinien zwischen den verschiedenen Ressorts.
    Im Feuilleton waren wir etwa zwanzig Leute, darunter der Literaturredakteur, der Redakteur für Reisethemen, die Kolumnisten und Rezensenten – und die Allrounder wie ich. Ich fand, mein Schreibtisch war ausgezeichnet gelegen: Hinter meinem Stuhl befand sich eine Art Raumteiler, der mit rosafarbenem, fusseligem Leinen bespannt war, wodurch ich mehr Privatsphäre besaß als die meisten. Außerdem hatte ich einen Ausblick. Na gut, durch das Fenster sah man zwar nur auf eine Baustelle in den Docklands, aber es handelte sich um ein echtes Fenster, auch wenn es sich nicht öffnen ließ. Auf meinem Stuhl lag ein schnuckeliges Kissen aus Fellimitat, das ich von zu Hause mitgebracht hatte, um meiner Ecke einen Hauch dessen zu verleihen, was ich am meisten schätzte – luxuriöse Weichheit, Komfort und eine Spur Glamour. Natürlich war das Kissen schokoladenbraun.
    Es gab allerdings ein Problem: Obwohl wir bei den Daily News immer wie eine glückliche Familie waren und alle unglaublich gut miteinander auskamen, war es nicht gerade der gemütlichste Arbeitsplatz. Man muss sich nur kurz vor Augen halten, dass jedes Jahr massenhaft Leute ihr Journalismusstudium abschließen und es nur eine sehr begrenzte Anzahl von Zeitungen gibt, für die diese Leute arbeiten können. Journalisten sind von Natur aus ehrgeizig, ja oft sogar aggressiv. Möchtegernjournalisten erst recht. Obwohl ich mich selbst nicht unbedingt für aufdringlich halte, kann ich, wenn nötig, doch sehr bestimmt sein, und natürlich halte ich mich nicht gerne im Hintergrund. Das wurde wahrscheinlich durchdie Tortengeschichte schon deutlich. Also hatte ich den richtigen Job und die richtige Einstellung dafür. Es hätte also alles bestens sein können, und das war es auch. Fast. Irgendwann bemerkte ich nämlich Veränderungen im Verhalten meiner Kollegen, und zwar in etwa zu der Zeit, als ich aus dem Erziehungsurlaub zurückkehrte. Das war ungefähr ein Jahr nach der Geburt meines kleinen Oliver.
    Es waren eher Kleinigkeiten, die mir auffielen. Denise Crampton, unsere Ressortleiterin, setzte mich plötzlich auf die seltsamsten Geschichten an. Eines Tages eröffnete sie mir zum Beispiel, ich solle nach Cornwall fahren und mich mit einer weißen Hexe zum Mittagessen treffen. Die Zugfahrt hin und zurück dauerte acht Stunden, und die Hexe war nicht nur weiß, sondern fast durchsichtig. Jedenfalls durchschaute man sie sofort – eine Schwindlerin, wie sie im Buche steht. Die Story schaffte es natürlich nicht in die Zeitung, ich hingegen kam an jenem Abend schrecklich spät nach Hause, was ein genervtes Kindermädchen, ein quengeliges Baby, eine erschöpfte Mutter und einen griesgrämigen Vater zur Folge hatte. Danach wurde ich mit Aufträgen nur so überhäuft, von denen einer skurriler war als der andere, und meine Artikel schienen von vornherein für den Mülleimer bestimmt. Denise wirkte jeden Morgen hocherfreut, mich zu sehen – dabei schnitt ein Lächeln ihre straff gespannte Gesichtshaut in zwei Teile. Bis zum Abend war es damit vorbei. Die Arme sah Queen Elizabeth der Ersten zum Verwechseln ähnlich – leider nicht der jungen, drallen Version, sondern eher wie auf den späten Porträts oder wie Glenda Jack sonin der Verfilmung aus den siebziger Jahren: krauses rotes Haar, fiese schwarze Äuglein und ein Blick, der zu sagen schien: »Was für ein
    schöner Tag für eine Exekution.« Denises große Leidenschaft war unser Chefredakteur, Barry Johns, und sogar mir tat sie ein klitzekleines bisschen leid, denn jedermann wusste, dass wohl erst die Welt untergehen musste, bevor der überhaupt merken würde, dass sie weiblichen Geschlechts war.
    Natürlich trug das nicht unbedingt dazu bei, Denise zu einem besonders umgänglichen Mitmenschen zu machen. »Da sind Sie ja, Bella, Gott sei Dank. Ich dachte schon, Sie seien unter einem Stapel Windeln verschütt gegangen«, rief Denise mir morgens, die Hände in die winzige Taille gestemmt, gerne quer durchs Büro zu. Ich nahm es ihr nicht übel. Aus Denises Mund war so etwas bloß eine
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