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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee
Autoren: Wladimir Kaminer
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Zeilen«, stand neulich in einer kurzen Annonce. Was auch immer damit gemeint war, der Mann schien echt etwas draufzuhaben.
    »Liebe Damen!«, las ich in einer anderen Annonce, »schnell, unaufdringlich und preiswert entziffere ich alle geheimnisvollen Briefe, die Sie bekommen.« Was hier noch fehlte, war die Annonce: »Schreibe geheimnisvolle Briefe«, aber vielleicht habe ich sie in der vorletzten Ausgabe übersehen.
    »Verkaufe kleine niedliche Kätzchen einer elitären Rasse: Die Mutter stammt aus Alma-Ata, der Vater ist ein einheimischer Kater.« Das multikulturelle Leben entwickelt sich in der Katzenwelt viel schneller als in unserer menschlichen. Dies ist auch verständlich. Die Katzenwelt kennt die Vorurteile nicht, denen die Menschen ausgesetzt sind, man kennt keinen Rassismus und handelt instinktiv. Doch alles wird bald anders: Auch die Menschenwelt ändert sich – besonders extrem bei uns auf der Schönhauser Allee. Als meine Tante vor einem halben Jahr hierher kam, zog sie in ein altes Haus mit grauen Wänden und einer Metzgerei im Erdgeschoss. Auf dem Hinterhof jagten die einheimischen Kater ihre »Maus« von einem Keller zum anderen, und beim Metzger trafen sich die Bauarbeiter morgens auf ein Tässchen Kaffee. Jetzt ist das Haus frisch renoviert, alles ist gelb angestrichen und duftet nach Rosen. In den Kellerräumen im Hinterhof hat sich eine »Medienwerkstatt« eingenistet. Als ich jemanden aus der Werkstatt fragte, was genau ihr Aufgabenbereich wäre, zuckte er nur mit den Schultern und meinte: »alles«.
    Der Metzger zog weg und an seiner Stelle eröffnete ein Hanfladen mit einer großen grünen Werbetafel: »Für Leute von heute: Wasserpfeifen, Textilien und vieles mehr.« Der Besitzer des Ladens steht selbst hinter dem Verkaufstresen, er bewegt sich kaum. Seinem Gesicht kann man entnehmen, dass er so »viel mehr« gar nicht mehr ertragen könnte. In der ganzen Zeit habe ich in dem Laden nur einen einzigen Kunden gesehen. Er kuckte sich das Sortiment an, überlegte lange, ging aber dann doch nach zwei Stunden mit leeren Händen aus dem Laden. Die Bauarbeiter gehen da auch nicht hin: Der Laden öffnet erst um 10.00 Uhr. Meine Tante hat im Wörterbuch das Wort »Wasserpfeife« nachgeschlagen, konnte es aber zwischen »Wassernixe« und »Wasserpflanze« nicht finden. Das Wörterbuch verkündet zwar die völlige Neubearbeitung von Professor Maximilian Braun, stammt aber aus dem Jahr 1964. Seitdem hält meine Tante Wasserpfeife für ein Schimpfwort.
    Alles ist anders geworden. Neulich erzählte sie mir von den gelben Wassermelonen, die der türkische Gemüsehändler in den »Schönhauser Arcaden« verkauft: von außen ganz normal, innen aber knallgelb.
    »Warum sind Ihre Melonen innen gelb?«, fragte ihn meine Tante.
    »Ich weiß nicht, sind eben gelb«, antwortete der Händler.
    »Wie schmecken sie denn?«, hakte meine Tante nach.
    »Ich weiß nicht. Nach nichts schmecken sie, wie Wassermelonen eben schmecken. Nur dass sie gelb sind.«
    Meine Tante entschied sich, keine gelben Melonen zu kaufen. Stattdessen ging sie ein Stück weiter in den »Plus«-Markt, wo sie kiloweise besonders preiswerte Katzennahrung einpackte: ihre Maus war wieder da.

Schlaflos auf der Schönhauser Allee
    Tag und Nacht ist bei uns auf der Schönhauser Allee ein und dasselbe Bild zu sehen: fahrende Menschen. Direkt vor unseren Fenstern rauschen sie in Zügen, Straßenbahnen und Autos, auf Fahrrädern und Motorrädern vorbei. Ununterbrochen und in alle Richtungen. Wenn wir Besuch aus Russland bekommen, empören sich unsere Gäste über den Krach. Ständig werden wir von ihnen gefragt, ob es nicht zu laut sei, ob man davon nicht einen dauerhaften Hörschaden bekäme. Nein, sagen wir, das ist unseres Wissens einer der wenigen ruhigen Orte in Berlin, unsere Bekannten in Charlottenburg beispielsweise haben es viel lauter.
    Wir leben schon lange genug auf der Schönhauser Allee, um den Verkehr draußen nicht mehr wahrzunehmen. Das sind alles Maschinen, die nun mal Krach machen, also klingen sie auch nicht aggressiv. Ganz anders ist es dagegen bei unserem Freund Mischa, der in einem alten Haus in der Uhlandstraße nicht weit vom Zoologischen Garten wohnt. Das letzte Mal besuchte ich ihn im Winter, als die schwangere Elefantenkuh hinter der Zoomauer gerade dabei war, ihren Sohn Kiri zur Welt zu bringen. Ihre Gebärschreie verwandelten halb Charlottenburg in einen Jurassic Park. Das Geschirr tanzte auf dem Tisch und unser Gespräch
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