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Schönesding!

Schönesding!

Titel: Schönesding!
Autoren: Peter Boehm
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Hals: „Ihr Schweine! Ihr Bastarde! Ihr beschissenen Hurensöhne! Ihr glaubt, ihr seid besonders schlau. Ihr glaubt ihr könnt entkommen.“
    Keine Sorge, Schätzchen, dass hier irgendjemand entkommen konnte, das glaubte hier niemand.
    Mir war das egal. Für mich war es gut hier. Ach, Quatsch, für mich war es ideal. Morgens bin ich nur kurz auf mein Fahrrad gehüpft. Dann einmal um die Ecke gerollt, über die Spreebrücke, wo mindestens ein Händler Rote-Armee-Generalsmützen und Gasmasken aus dem ersten 1. Weltkrieg verkloppte. Daneben ließ schon am Morgen irgendein Zigeunermusiker mit seinem Schifferklavier ein paar Akkorde übers sirenisch-ruhige Wasser schweben. Dann war ich an der Humboldt-Uni.
    Für Seminare, in unserem Institut in der Sophienstraße, lohnte es sich noch nicht einmal aufs Fahrrad zu steigen. Nein, nein, nein, dazu durfte ich nicht nein sagen.
    Dabei war die Wohnung leicht zu bekommen. Und die Miete war schlicht unschlagbar. 487 Euro, warm, für einhundertsieben Quadratmeter. Ich suchte mir einfach einen Mitbewohner. Und das war das.
    Felder, ein Typ aus unserer Stadt, suchte etwas. Ein Freund in Schlummbach sagte: „Eigentlich ist er sehr nett. Er ist nur ein bisschen merkwürdig. Aber wenn du ihm nicht auf die Pelle rückst, kommst du gut mit ihm aus.“ Der Freund gab Felder gleich die Schlüssel.
    Die Wohnung war groß. Zweimal zwei Zimmer, jeweils verbunden durch eine Tür, im sechsten Stock, mit strategisch platzierten Erkern und Blick auf den Fernsehturm unmittelbar vor meiner Nase. Der mir nachts verschworen zublinkte. Nur mir verschworen zublinkte. Nur er - oder sie? - und ich!
    Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich dachte, jause, hier kriegt mich keiner so schnell raus. Nein, nein, nein, dazu durfte ich nicht nein sagen.
    Aber warum war die Wohnung so einfach zu kriegen? Was ging hier vor? Hielt die WBM, die hier vermietet, die Existenz dieser Wohnungen geheim? War eine solche Butze ein verschwiegenes Privileg, das Neuankömmlingen in Berlin gewährt wird, wenn sie sich nur trauten danach zu fragen?
    Oh nein! Es war alles korrekt. Und die Lösung nur dem Neuen verborgen. Die Wohnung war in einem verhassten Plattenbau. Gebaut irgendwann in den Siebzigern in der DDR, dorthin, wo die Bomben Lücken geschlagen hatten, und vermietet nur an jene, die es verdienten.
    Natürlich waren aber dann so auch die Leute, die mit mir in dieser Wildnis hausten. Ich kann nicht sagen, ob sie wie ich in dieser jenseitigen Zone aufblühten, oder von der Not hierher gespült worden waren und hier nur parkten. Mein Eindruck war eher, dass sie das Wohnen hier als Verbannung empfanden.
    Trotzdem empfand ich meine Nachbarn als Verbündete gegen die Welt da draußen. In den umliegenden Fenstern konnte man schon am Morgen das nervöse Flimmern von Fernsehern sehen. Felder kommentierte das später immer mit einem Augenzwinkern: „Guck mal, ne Hartz IV-Party!“
    Mich hat es nicht gestört. Ja, es beruhigte mich. Weil: Damit war klar, hier gab es Leute, die noch weniger taten als ich. Und: Wer schon einmal deutsches Fernsehen geguckt hat, musste ja wohl auch den Hut vor diesen Leuten ziehen. Wer es sich um diese Zeit schon geben konnte, der wer auf jeden Fall eines: hart im nehmen.
    Ein paar Häuser die Straße hinunter verlieh Melle von Melle's Bike Tours Fahrräder an Touristen. Mit einem dicken Schlüsselbund am Gürtel patrouillierte er wichtig vor unserem Haus auf und ab, als verticke er Immobilien. Felder wies immer wieder einmal auf ihn, wenn der nicht her schaute, lachte dabei und sagte: „Sieben-Sieben-Fünf!“
    Ein paar Wochen vorher hatte Felder mir einen Artikel in der Zeitung gezeigt, in dem stand, dass das Durchschnittseinkommen in Mitte 775 Euro beträgt. Im Monat. Seit ein paar Jahren gehörten damals zu Mitte die traditionellen Arbeiterbezirke Wedding und Moabit. Aber trotzdem! Als ich auszog, hatte bei uns aber noch niemand Stühle auf der Straße aufgestellt, um seine Dienste als Schuhputzer anzubieten.
    Im Erdgeschoss in unserem Haus wohnte eine alte Schachtel, die das ganze Treppenhaus mit Haarspray imprägnierte. Offenbar hatte sie noch einen großen Vorrat aus den Achtzigern gehortet.
    Zwei Stock über ihr wohnte eine Prolette mit orange gefärbten Haaren, die sie immer auf schwer zu schildernde Weise unbeugsam struppelig, aber dann auch wieder bemüht dauerwellen-herausgewachsen glatt hielt. Nach einem Blick in ihr Gesicht konnte man gleich sagen: Hier regiert König Alkohol. Das war
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