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Schönesding!

Schönesding!

Titel: Schönesding!
Autoren: Peter Boehm
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sein Reich. Schon seit langem war er ein gestrenger Meister und hatte ein Gesicht nach seinen ästhetischen Bedürfnissen geformt. Sie hatte auch ein Gesicht, bei dem man gleich sagen konnte, dass da noch fünf bis zwölf weitere Brüder und Schwestern da draußen waren, die fast genauso aussahen. Wie das geht? Ich kann den Finger nicht genau auf den Grund legen, aber wenn man so ein Gesicht gesehen hat, war man sich einfach sicher.
    Im Nachbarhaus wohnte gleich ihre Tochter, und wie sich Traditionen so fortsetzen, trug auch sie ihren Iro signalfarben. Am Tag schon konnte man sie selig vom Sterni mit ihren Mitpunkern durch den Hof streifen sehen. Und nachts hören, wenn sie dann voll betankt wieder in den Hafen einsegelten.
    Ab und zu lagerte sie auf einer Decke allein oder in gutgelaunter Gesellschaft, mit ihrer Ratte auf der Schulter, vor dem nächsten PLUS in der Torstraße. Um sich ein bisschen was dazu zu verdienen, schätze ich.
    In den Stockwerken unter und über Familie Bildungsbürgerin lebten einige wenig auffällige und selten zu gängigen Tageszeiten zu beobachtende Gesellen. Sie zogen, wenn man sie doch einmal überraschte, schnell die Türe zum Treppenhaus zu, so dass man gerade noch einen Streifen Läufer aus dem letzten Jahrhundert oder eine Kommode aus dem noch davor erhaschen konnte.
    Felder zog ein, als ich gerade in Schlummbach war. Ich bekam eine SMS, launisch und kurz, und obwohl wir uns die Küche teilten, sah ich ihn die ersten paar Tage gar nicht. Seine Plastikfurnier-Tür am Ende des Ganges war stets geschlossen. Kein Geräusch war von dort zu hören. Aber an ihr hing ein Schild. ICH BIN MAL WEG. KLOPFEN ZWECKLOS!, stand da in großen Lettern. Stimmte das? War er wirklich nicht da?
    Keiner wusste was. Und das war noch lang nicht alles. Da waren noch viel mehr Sachen, die ich damals noch nicht wusste. Denn, bevor dann alles schief lief, sollte eben dieser Felder mein Svengali werden, oder mein Jesus Christus, oder war's gar mein Ekel-Alfred?– Scheiße, Mann, was weiß ich.
     

* 3 *
     
    Es gab allerdings schon Zeichen. Bevor ich Felder zum ersten Mal sah, war mir schon aufgefallen, dass bei ihm ziemlich kursive Leute ein- und ausgingen. Er musste also da sein. Sie fielen durch alle Berliner Raster. Sie trugen elegante Anzüge und Aktentaschen, hinterließen Wolken von Kölnisch Wasser im Gang, kamen früh am Morgen, und es waren viele Männer dabei, die im Polizeibericht „ Zielperson fernöstlicher Herkunft“ geheißen hätten.
    Viel später erst habe ich erfahren, dass Felder Verträge und Korrespondenz für ein anglo-kanadisch-australisches Konsortium übersetzte, das in der Mongolei eine Gold- und Kupfermine entwickeln wollte.
    Mongolisch ist eine teuflisch schwere Sprache, die zur Familie der Altai-Sprachen gehört. Sie wird in Kyrillisch geschrieben. Wieso Felder die konnte, war mir schleierhaft. Aber er schien gut daran zu verdienen, denn die Verhandlungen zogen sich ewig hin, und da er sowohl gut Englisch als auch Mongolisch sprach, war er schwer zu ersetzen.
    Den Mann in Person sah ich zum ersten Mal nach einer Woche, als ich im Hof mein Fahrrad reparierte; und obwohl er so merkwürdig aussah, dachte ich, solche Typen wie den kenne ich - nur woher bloß?
    Er hatte ein langes Gesicht, hohe Backenknochen, lockige, halblange Haare, getragen von einem langen dürren Körper. Er war vielleicht fünfundzwanzig oder dreißig, oder auch noch älter, schwer zu sagen, denn er trug stets eine große, dunkle Sonnenbrille. Außerdem trug er Stöpsel in den Ohren, solche aus gelbem Schaumstoff.
    Und er trug keine Schuhe. In den fast sechs Monaten, die ich in der Münz gewohnt habe, trug er wirklich nie Schuhe. Ich sah ihn stets barfuß gehen. Drinnen und draußen. Auf allen Straßen und Wegen. Bei Wind und Regen. Bei Schnee und Eis. Trotzdem habe ihn nie gefragt warum. Ich hatte einen guten Grund.
    „Was guckst du so!“, fuhr Felder nämlich immer wieder einmal jemanden an, weil die Leute natürlich guckten. Er war ja barfuß. Dann machte er einen Schritt auf denjenigen zu, ging ganz nah ran und sagte: „Schuhe sind was für Heimspieler!“ Und das war das! Worauf derjenige natürlich noch viel kursiver guckte.
     

* 4 *
     
    Kleine Hölle Moabit: Elf mal einen Fuß vor den anderen setzen in der Länge, sieben mal einen vor den anderen in der Breite. Ein Bett aus Beton, eine Matratze, ein Klo, kein Spiegel. Zweimal die Woche duschen, reingeführt mit der ganzen Abteilung. Dreiundzwanzig
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