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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
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plötzlichem Quieken. »Hallo«, sagte er ins Mikrophon, »hallo, hallo...«
    Auf einmal schrillte eine Klingel in seinem Hut. »Sind Sie's, Scherlmosser? Hier spricht Habibullah Knickerbocker. Ja, ich hab ihn erwischt. Der Herr Wilde wird nun die Freundlichkeit haben, ein paar Worte ins Mikrophon zu sprechen. Nicht wahr, Herr Wilder?« Er blickte ihn wieder mit seinem gewinnenden Lächeln an. »Erzählen Sie unseren Hörern einfach, warum Sie so plötzlich Berlin verließen und hierherkamen - dableiben, Scherlmosser! Und natürlich - die Geißel!« Dem Wilden gab es einen Ruck.
    Woher wußten die von der Geißel? »Wir sind alle ganz verrückt danach, etwas über die Geißel zu hören. Und dann sagen Sie uns vielleicht noch etwas über Zivilisation. Sie wissen doch - ›Wie ich über das zivilisierte Mädchen von heute denke‹. Nur ein paar Worte, ganz kurz...«
    Der Wilde kam seinem Wunsch mit befremdlicher Wörtlichkeit nach. Fünf Wörter sagte er und nicht mehr, fünf Wörter, dieselben, die er Sigmund über den Erzchormeister von Köln zugerufen hatte. »Hani! Sons eso tse-na!«
    Hierauf faßte er den Reporter an der Schulter, wirbelte ihn um seine Achse - der junge Mann erwies sich als einladend gut gepolstert -, zielte und versetzte ihm mit der ganze n Treffsicherheit und Kraft eines Fuß- und Maulballchampions einen äußerst wohlgeratenen Tritt.
    Acht Minuten später wurde eine Extraausgabe des »Stündlichen« in den Straßen Berlins verkauft. »Unser Sonderberichter von geheimnisvollem Wilden in Steiß getreten«, lauteten die Schlagzeilen auf der ersten Seite.
    »Unerhörter Eindruck in der Lüneburger Heide.«
    »Eindruck auch in Berlin«, dachte der Reporter, als er bei seiner Rückkehr diese Worte las. Und zwar ein sehr schmerzhafter Eindruck. Mit zaghafter Vorsicht setzte er sich zum Mittagessen.
    Unabgeschreckt durch das warnende Beispiel auf der Sitzfläche ihres Kollegen, erschienen schon am Nachmittag noch vier weitere Reporter, Korrespondenten der »New York Times«, des »Frankfurter Vierdimensionalen Kontinuums«, des »Fordian Science-Monitors« und des »Kiemen Delta-Blatts«, beim Leuchtturm und wurden mit stufenweise zunehmender Gewalttätigkeit empfangen.
    Aus sicherer Entfernung und sich die Sitzfläche reibend, rief der Mann vom »Fordian Science-Monitor«: »Sie fordverlassener Einfaltspinsel, warum nehmen Sie nicht Soma?«
    »Hinweg!« Der Wilde schüttelte die Faust. Der andere zog sich ein paar Schritte zurück, dann wandte er sich nochmals um: »Alle Pein wird Schall und Rauch, machst von Soma du Gebrauch.«
    »Kohakwa iyathtokyai.« Drohender Hohn lag in der Stimme.
    »Schmerz wird Täuschung -«
    »Ah, wirklich?« sagte der Wilde, hob einen dicken Haselstecken auf und kam näher.
    Der »Monitor«-Mann machte einen Satz in seinen Helikopter.
    Danach hatte der Wilde für einige Zeit Ruhe. Ein paar Helikopter kamen und schwebten neugierig über dem Turm. Er schoß einen Pfeil nach dem zudringlichsten. Das Geschoß durchbohrte den dünnen Aluminiumboden der Kabine, ein schriller Schrei - die Maschine schoß mit aller in ihr wohnenden Kraft in die Luft hinauf. Von nun an hielten sich die anderen in respektvoller Entfernung. Ohne ihr lästiges Gesumm zu beachten - er verglich sich im Geist gerne mit einem Freier des Mädchens von Matsaki, standhaft und ausdauernd inmitten des geflügelten Ungeziefers -, grub der Wilde den Boden um, der sein Gemüsegarten werden sollte. Nach einiger Zeit schien das Geziefer sich zu langweilen und flog weg; stundenlang blieb der Himmel über ihm leer und, bis auf die Lerchen, stumm.
    Das Wetter war atemberaubend heiß, ein Gewitter lag in der Luft. Er hatte den ganzen Morgen über gegraben und ruhte nun, auf den Fußboden hingestreckt. Und plötzlich wurde ihm Lenina zum Greifen gegenwärtig, nackt und duftend in Schuhen und Strümpfen, wie sie »Süßer!« sagte und »Leg deine Arme um mich!«. Schamlose Metze!
    Aber ach, ach, ihre Arme um seinen Nacken, das Wippen ihrer Brüste, ihr Mund! In unserm Mund und Blick war Ewigkeit. Lenina - nein, nein, tausendmal nein! Er sprang auf und stürzte halbnackt ins Freie. In einiger Entfernung stand am Rand der Heideflächen ein altersgrauer Wacholderbusch. Er warf sich mitten hinein, umschlang nicht den glatten Leib seiner Sehnsucht, sondern einen Armvoll grüner Dornen. Scharf, mit tausend Nadeln, stachen sie ihn. Er versuchte, an die arme Filine zu denken, die nicht mehr atmen und hören konnte, an ihre
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