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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
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verkrampften Hände und die unsägliche Angst in ihren Augen; an die arme Filine, die er nie zu vergessen geschworen hatte.
    Aber Leninas Gegenwart verfolgte ihn noch immer. Lenina, die er zu vergessen gelobt hatte. Noch unter den Dolchen und Nadeln der Wacholderstacheln war sein zuckender Leib sich ihrer unentrinnbaren Wirklichkeit bewußt. »Süßer, wenn du mich haben wolltest, warum hast du es dann nicht -«
    Die Geißel hing an einem Nagel gleich hinter der Tür, zur Hand für Reporterbesuche. Wie wahnsinnig lief der Wilde ins Haus zurück, ergriff und schwang sie. Die Knoten bissen in sein Fleisch.
    »Metze! Metze!« brüllte er bei jedem Schlag, als wäre es Lenina - und wie rasend wünschte er unbewußt, sie wäre es! -, die weiße, warme, duftende, niederträchtige Lenina, die er da geißelte. »Metze!« Dann, verzweifelt: »O Filine, vergib mir! Verzeih mir, Gott! Ich bin schlecht. Ich bin verrucht. Ich... Nein, nein, du Metze, du Metze!«
    Aus seinem sorgfältig errichteten Versteck im Wald, dreihundert Meter entfernt, hatte Darwin Schillings, der hervorragendste Großwildfotograf der Fühlfilmkorporation, den ganzen Vorgang beobachtet. Geduld und Geschick wurden belohnt. Drei Tage hatte er im Stamm einer künstlichen Eiche verbracht, war drei Nächte auf dem Bauch durch die Heide gekrochen, hatte Mikrophone in Ginsterbüschen verborgen und Drähte im weichen grauen Sand vergraben. Zweiundsiebzig höchst unbequeme Stunden. Aber nun war der große Augenblick da, der größte, sann er nach, während er sich zwischen seinen Apparaten hin und her bewegte, seit er den berühmten hundertprozentigen Brüll- und Fühlfilm der Gorillahochzeit gedreht hatte. »Glänzend«, sagte er bei sich, als der Wilde seine erstaunliche Aufführung begann. »Glänzend!« Erhielt seine Teleskopkamera, sorgfältig eingestellt, auf ihr bewegliches Ziel gerichtet, steckte eine stärkere Linse auf, um eine Großaufnahme des wahnverzerrten Gesichts bravo! - zu erlangen, schaltete dann, für eine halbe Minute, auf Zeitlupe um - wovon er sich eine unvergleichlich komische Wirkung versprach -, hörte inzwischen die Schläge, das Stöhnen und die wilden, tollen Reden ab, die er auf dem Tonstreifen am Rand der Filmrolle aufzeichnete, prüfte die Wirkung einer leichten Schallverstärkung - ja, so war es entschieden besser! -, hörte zu seiner Freude während eines windstillen Augenblicks den schrillen Gesang einer Lerche, wünschte sich, der Wilde würde sich umdrehen, damit er eine gute Großaufnahme seines blutigen Rückens machen könnte, und fast im selben Augenblick - ein verblüffendes Glück - wandte sich der gefällige Kerl um, und die Großaufnahme war glänzend gelungen.
    »Also das war phänomenal!« sagte er sich, als es vorüber war. »Wirklich phänomenal!« Er wischte sich über das Gesicht. Wenn man dann noch im Studio die Fühleffekte einkopierte, war es ein wunderbarer Film. Fast so gut, dachte Darwin Schillings, wie sein »Liebesleben des Pottwals«, und das, bei Ford!, wollte schon etwas heißen!
    Zwölf Tage später wurde »Der Wilde von der Lüneburger Heide« zur Aufführung freigegeben und konnte in sämtlichen erstklassigen Fühlfilmpalästen Westeuropas gesehen, gehört und gespürt werden.
    Die Wirkung von Darwin Schillings' Film war sogleich ungeheuer. Am Nachmittag nach dem Premierenabend wurde Michels länd liche Einsamkeit durch die plötzliche Ankunft eines Riesenschwarms von Flugzeugen gestört.
    Er grub in seinem Garten und grub auch in seiner Seele und wandte emsig seine Gedanken um. Der Tod... Er stieß seinen Spaten in den Boden, und noch einmal und noch einmal. »Und alle unsre Gesten führten Narren den Pfad des staub'gen Todes.« Ein überzeugender Donner rollte durch diese Worte. Er hob einen zweiten Spaten Erde aus. Warum war Filine gestorben, warum hatte sie schrittweise immer weniger menschenähnlich werden müssen und zuletzt -? Ihn schauderte. »Ein künstliches Aas.« Er setzte seinen Fuß auf den Spaten und stieß ihn heftig in die harte Erde. »Was Fliegen sind den müß'gen Knaben, das sind wir den Göttern; sie töten uns zum Spaß.« Neuerlicher Donner; Worte, die sich als wahr offenbarten, irgendwie wahrer als die Wahrheit selbst. Und doch hatte derselbe Gloster sie die ewig gütigen Götter genannt! Übrigens, »dein bestes Ruh'n ist Schlaf, den rufst du oft und zitterst vor dem Tod, der doch nichts weiter«. Nichts weiter als Schlaf.
    »Schlafen! Vielleicht auch träumen.« Sein Spaten
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