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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
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Medikamenten wie Skopolamin; zweitens einer voll entwickelten Wissenschaft der Unterschiede zwischen Menschen, die es den von der Regierung bestellten Managern ermöglicht, jedem beliebigen Individuum seinen oder ihren Platz in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rangordnung anzuweisen (kantige Pflöcke in runden Löchern zeitigen gefährliche Gedanken über das Gesellschaftssystem und stecken leic ht andere mit ihrer Unzufriedenheit an); drittens (da die Wirklichkeit, wenn auch noch so utopisch, die Menschen die Notwendigkeit empfinden läßt, recht häufig Urlaub von ihr zu nehmen) bedarf es eines Ersatzes für Alkohol und die anderen Rauschmittel, etwas, das zugleich weniger schadet und mehr Genuß bringt als Branntwein oder Heroin; und viertens (aber das wäre ein Langzeitprojekt, das zu seinem erfolgreichen Abschluß Generationen totalitärer Herrschaft erfordern würde) eines betriebssicheren Systems der Eugenik, darauf berechnet, das Menschenmaterial zu normen und so die Aufgabe der Manager zu erleichtern. In Schöne neue Welt ist diese Normung des menschlichen Produkts bis zu phantastischen, wenngleich vielleicht nicht unmöglichen Extremen getrieben. Technisch und ideologisch haben wir noch einen weiten Weg bis zu Kindern in Flaschen und Bokanowskygruppen von Halbidioten. Doch um das Jahr 600 n. F. - wer weiß, was bis dahin nicht alles geschehen mag? Inzwischen sind die anderen charakteristischen Züge dieser glücklicheren und beständigeren Welt - die Äquivalente für Soma und Hypnopädie und das wissenschaftlich ausgearbeitete Kastensystem - wahrscheinlich nur noch drei oder vier Generationen von uns entfernt.
    Auch scheint die sexuelle Promiskuität der Schönen neuen Welt nicht gar so weit von uns zu liegen. Es gibt bereits gewisse amerikanische Städte, in welchen die Zahl der Scheidungen die der Heiraten erreicht. In einigen Jahren werden Trauscheine zweifellos verkauft werden wie Hundemarken: gültig für zwölf Monate, wobei kein Gesetz das Wechseln der Hunde oder das gleichzeitige Halten mehr als eines Hundes verbietet. Je mehr sich politische und wirtschaftliche Freiheit verringern, desto mehr pflegt die sexuelle Freiheit sich kompensatorisch auszuweiten. Und der Diktator (falls er nicht Kanonenfutter braucht und kinderreiche Familien, um mit ihnen noch unbesiedelte oder zu erobernde Gebiete zu kolonialisieren) wird gut daran tun, diese Freiheit zu fördern. In Verbindung mit der Freiheit des Tagträumens unter dem Einfluß von Rauschmitteln, Filmen und Rundfunk wird die sexuelle Freiheit dazu beitragen, seine Untertanen mit der Sklaverei, die ihr Los ist, auszusöhnen.
    Alles in allem sieht es ganz so aus, als wäre uns Utopia viel näher, als irgend jemand es sich vor nur fünfzehn Jahren hätte vorstellen können. Damals verlegte ich diese AutorUtopie sechshundert Jahre in die Zukunft. Heute scheint es durchaus möglich, daß uns dieser Schrecken binnen eines einzigen Jahrhunderts auf den Hals kommt; das heißt, wenn wir in der Zwischenzeit davon absehen, einander zu Staub zu zersprengen. In der Tat, wenn wir nicht die Dezentralisierung wählen und die angewandte Wissenschaft nicht als den Zweck gebrauchen, zu welchem aus Menschen die Mittel gemacht werden, sondern als das Mittel zur Hervorbringung eines Geschlechts freier Individuen dann bleiben uns nur zwei Möglichkeiten: entweder eine Anzahl nationaler militarisierter Totalitarismen, die in Angst vor der Atombombe gründen und deren Frucht die Vernichtung der Zivilisation (falls aber die Kriegführung eingeschränkt wird, die Verewigung des Militarismus) sein wird; oder ein übernationaler Totalitarismus, hervorgerufen durch das soziale Chaos, das sich aus raschem technischen Fortschritt im allgemeinen und der atomaren Revolution im besonderen ergeben haben wird und das sich aus dem Bedürfnis nach Leistungsfähigkeit und Stabilität zur Wohlfahrtstyrannei Utopias entwickeln wird. Du darfst wählen, aber du zahlst dafür.
    1946 A. H.

Erstes Kapitel
    Ein grauer gedrungener Bau, nur vierunddreißig Stockwerke hoch. Über dem Haupteingang die Worte: BRUT- UND NORMZENTRALE BERLIN-DAHLEM. Darunter, auf einer Tafel, der Wahlspruch des Weltstaats: GEMEINSCHAFTLICHKEIT, EINHEITLICHKEIT, BESTÄNDIGKEIT.
    Der riesige Saal zu ebener Erde ging nach Norden.
    Durch die Fenster drang spärlich Licht, kalt und hart trotz dem Sommer jenseits der Scheiben und der tropischen Hitze in dem Raum selbst, und suchte gierig irgendeine drapierte
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