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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
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wirklich revolutionäre Revolution läßt sich nicht in der äußeren Welt bewirken, sondern nur in den Seelen und Körpern der Menschen. Da der Marquis de Sade in einer revolutionären Zeit lebte, machte er selbstverständlich von dieser Theorie der Revolution Gebrauch, um seine besondere Sorte von Wahnsinn zu rationalisieren. Robespierre hatte die oberflächlichste Revolution vollbracht, die politische. Ein wenig tiefer dringend, hatte Babeuf die wirtschaftliche Revolution angestrebt. Sade hielt sich für den Vorkämpfer der wahrhaft revolutionären, über bloße Politik und Volkswirtschaft hinausgehenden Revolution - der Revolution im einzelnen Menschen, in Mann, Weib und Kind, deren Körper hinfort das gemeinsame sexuelle Eigentum aller werden sollten und deren Gemüter von jedem natürliche n Sittlichkeitsgefühl und von allen im Verlauf der überkommenen Zivilisation mühsam erworbenen Hemmungen entrümpelt werden sollten. Zwischen Sadismus und der wirklich revolutionären Revolution besteht natürlich kein notwendiger oder unvermeidlicher Zusammenhang. Sade war ein Verrückter, und das mehr oder weniger bewußte Ziel seiner Revolution waren Chaos und Vernichtung. Die Menschen, welche die »schöne neue Welt« regieren, mögen geistig nicht gesund sein (im absoluten Sinn des Wortes); aber sie sind keine Geisteskranken, und ihr Ziel ist nicht Anarchie, sondern soziale Stabilität. Um solche Stabilität zu erzielen, führen sie mit wissenschaftlichen Mitteln die letzte, persönliche, wirklich revolutionäre Revolution durch.
    Wir aber befinden uns inzwischen in der ersten Phase dessen, was vielleicht die vorletzte Revolution ist. Ihre nächste Phase mag der Atomkrieg sein, und in diesem Fall brauchen wir uns nicht mit Prophezeiungen über die Zukunft abzugeben. Immerhin ist es vorstellbar, daß wir vielleicht genug V erstand besitzen, um, wenn schon nicht ganz vom Kriegführen abzulassen, uns wenigstens so vernünftig zu benehmen wie unsere Vorfahren im 18. Jahrhundert.
    Die unvorstellbaren Greuel des Dreißigjährigen Krieges waren den Menschen tatsächlich eine Lehre, und mehr als hundert Jahre lang widerstanden hernach die Politiker und Feldherren Europas der Versuchung, ihre militärischen Mittel bis zur Grenze der Zerstörung zu verwenden oder (in der Mehrheit der Kriegsfälle) weiterzukämpfen, bis der Feind völlig vernicht et war. Natürlich waren sie habgierige und ruhmsüchtige Aggressoren; aber sie waren auch Konservative, entschlossen, ihre Welt um jeden Preis als betriebsfähiges Unternehmen unversehrt zu lassen. In den letzten dreißig Jahren gab es keine Konservativen, sondern nur nationalistische Radikale der Rechten und nationalistische Radikale der Linken. Der letzte konservative Staatsmann (in England) war der Fünfte Marquis von Landsdowne; und als er einen Brief an die »Times« schrieb, in dem er vorschlug, daß der Erste Weltkrieg, nach dem Beispiel der meisten Kriege im 18. Jahrhundert, mit einem Vergleich beendet werden sollte, da weigerte sich der Herausgeber dieser einst konservativen Zeitung, den Brief abzudrucken. Die nationalistischen Radikalen setzten sich durch, und wir alle kennen die Folgen: Bolschewismus, Faschismus, Inflation, Wirtschaftsdepression, Hitler, Zweiter Weltkrieg, Ruin Europas und nahezu weltweit Hungersnöte.
    Gesetzt nun, wir seien fähig, ebensoviel aus Hiroshima zu lernen, wie unsere Vorfahren aus dem Beispiel Magdeburgs gelernt haben, dann dürfen wir uns vielleicht eine Zeit, wenn nicht tatsächlichen Friedens, so doch begrenzter und nur zum Teil verheerender Kriege erwarten. Es ist anzunehmen, daß während dieser Zeitspanne Atomkraft für industrielle Zwecke nutzbar gemacht werden wird.
    Das Ergebnis wird wohl zweifellos eine Reihe wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen sein, wie sie in solch schneller Aufeinanderfolge und Vollständigkeit noch nie dagewesen waren. Alle bestehenden Rege ln des menschlichen Lebens werden gesprengt werden, und neue werden improvisiert werden müssen, damit sie dem unmenschlichen Sachverhalt der Atomkraft entsprechen.
    Ein Prokrustes in moderner Gestalt, wird der Atomphysiker das Bett vorbereiten, auf dem die Menschheit liegen müssen wird; und wenn die Menschheit nicht hineinpaßt nun, desto schlimmer für sie. Da wird eben ein wenig ausgereckt und abgehackt werden müssen, auf dieselbe Weise wie schon immer, seit die angewandte Wissenschaft wirkliche Fortschritte gemacht hat; nur daß diesmal das Ausrecken
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