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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
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Gliederpuppe, den blassen Umriß eines fröstelnden Modells, fand aber nur das Glas und Nickel und frostig glänzende Porzellan eines Laboratoriums.
    Kälte stieß auf Kälte. Die Arbeiter trugen weiße Kittel, ihre Hände steckten in blassen, leichenfarbenen Gummihandschuhen. Das Licht war kalt, tot, gespenstisch.
    Nur von den gelben Tuben der Mikroskope lieh es sich eine gewisse lebendige Fülle und lag wie Butter auf den blanken Zylindern, ein satter Streif nach dem anderen, die endlose Reihe der Arbeitstische entlang.
    »Und dies«, sagte der Direktor, die Tür öffnend, »ist der Befruchtungsraum.«
    Dreihundert Befruchter standen über ihre Instrumente gebeugt, als der Brut- und Normdirektor den Saal betrat.
    Kaum ein Atemzug unterbrach die Stille, kaum ein gedankenverlorenes Vor-sich-hin-Summen oder -Pfeifen störte die allgemeine angespannte Vertieftheit. Eine soeben eingetroffene Gruppe sehr junger, sehr rosiger und sehr unerfahrener Studenten folgte aufgeregt und ein bißchen beklommen dem Direktor auf den Fersen. Jeder hielt ein Merkheft in der Hand, in das er, sooft der große Mann den Mund auftat, krampfhaft kritzelte. Aus erster Quelle - eine besondere Gunst. Der Brut- und Normdirektor von Berlin legte Wert darauf, seine neuen Studenten höchstpersönlich durch die einzelnen Abteilungen zu führen.
    »Nur damit Sie eine Vorstellung vom Ganzen bekommen«, erklärte er in solchen Fällen. Irgendeine Vorstellung mußten sie schließlich haben, wenn sie ihre Arbeit mit Verstand verrichten sollten, andererseits aber auch keine zu genaue Vorstellung, wenn sie brauchbare und zufriedene Mitglieder der Gesellschaft werden sollten.
    Die kleinen Einzelheiten sind es bekanntlich, die tüchtig und glücklich machen. Gesamtüberblicke sind für den Geist nur von Übel. Nicht Philosophen, sondern Hobbybastler und Briefmarkensammler bilden das Rückgrat der Menschheit.
    »Morgen«, setzte der BUND gewöhnlich hinzu und lächelte mit einem nicht ganz geheuren Wohlwollen, »beginnt für Sie der Ernst der Arbeit. Für Gesamtüberblicke werden Sie dann keine Zeit haben. Inzwischen...«
    Inzwischen war es eine besondere Gunst: aus erster Quelle ins Merkheftchen. Die Jungen kritzelten wie besessen.
    Hochgewachsen und mager, aber stramm, schritt der Direktor allen voran in den Saal. Er hatte ein langes Kinn und große, ziemlich vorstehende Zähne, gerade noch von den vollen, üppig geschwungenen Lippen bedeckt, wenn er schwieg. Alt? Jung? Dreißig, fünfzig, fünfundfünfzig?
    Schwer zu sagen. Übrigens ergab sich die Frage gar nicht, denn in diesem Jahre der Beständigkeit, 632 n. F., fiel es niemandem ein, sie zu stellen.
    »Ich werde beim Anfang beginnen«, sagte der BUND, und die ganz Gewissenhaften unter den Studenten vermerkten seine Absicht in ihren Heftchen: Beim Anfang beginnen!
    »Das hier sind die Brutofen«, sagte er mit einer schwungvollen Handbewegung. Er öffnete eine abgedichtete Tür und zeigte ihnen die vielen Gestelle voll bezifferter Reagenzgläser. »Der wöchentliche Eingang an Ovarien. Ständig bei Körpertemperatur gehalten. Die männlichen Gameten«, hier öffnete er eine andere Tür, »müssen dagegen bei fünfunddreißig statt bei siebenunddreißig Grad gehalten werden. Normale Körpertemperatur macht unfruchtbar. Böcke in Barchent zeugen keine Zicklein.«
    An die Brutofen gelehnt, gab er den wild über die Seiten hastenden Bleistiften eine kurze Beschreibung des modernen Befruchtungsvorgangs, sprach selbstverständlich zuerst von dem operativen Eingriff - »eine freiwillig zum Gemeinwohl auf sich genommene Operation, die überdies noch mit einer Prämie in Höhe von sechs Monatsgehältern verbunden ist« - , beschrieb hierauf das Verfahren, mit dem der entnommene Eierstock am Leben und funktionstüchtig gehalten wurde, ging dann auf die Frage der optimalen Temperatur, des Salzgehalts und der Viskosität über, erwähnte die Nährlösung, in der die abgetrennten und ausgereiften Eier aufbewahrt wurden, führte seine Schützlinge an die Arbeitstische und zeigte ihnen, wie diese Lösung aus den Reagenzgläsern abgezogen und tropfenweise auf die vorgewärmten Objektträger der Mikroskope geträufelt wurde, wie die in ihr enthaltenen Eier auf Fehlentwicklungen untersucht, gezählt und in einen porösen Behälter gelegt wurden und - hier ließ er sie bei der Prozedur zusehen - wie man diesen Behälter in eine warme Brühe voll freischwimmender Spermatozoen tauchte - Mindestgehalt 100000 pro
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