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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
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und Abhacken ein gut Teil drastischer sein wird als in der Vergangenheit. Diese alles andere als schmerzlosen Operationen werden von hochzentralisierten totalitären Regierungen überwacht werden. Das ist unvermeid lich; denn die unmittelbare Zukunft wird wohl der unmittelbaren Vergangenheit ähneln, und in dieser tendierten technische Umwälzungen, welche in einer Wirtschaft der Massenproduktion und unter einer vorwiegend besitzlosen Bevölkerung vor sich gingen, stets dazu, wirtschaftliche und gesellschaftliche Unordnung hervorzurufen. Um mit Unordnung fertig zu werden, wurde stets Macht zentralisiert und die Kontrolle durch die Regierungen verstärkt.
    Es ist also wahrscheinlich, daß alle Regierungen der Welt mehr oder weniger totalitär sein werden, sogar noch vor der industriellen Nutzbarmachung atomarer Energie; daß sie während und nach solcher Nutzbarmachung totalitär sein werden, scheint fast gewiß. Nur eine große, Dezentralisierung und Selbsthilfe erstrebende Volksbewegung könnte die gegenwärtige Tendenz zur Staatsallmacht aufhalten. Zum jetzigen Zeitpunkt ist kein Anzeichen erkennbar, daß es zu einer solchen Bewegung kommen wird.
    Es gibt natürlich keinen Grund, warum der neue Totalitarismus dem alten gleichen sollte. Ein Regieren mittels Knüppeln und Exekutionskommandos, mittels künstlicher Hungersnöte, Massenverhaftungen und Massendeportationen ist nicht nur unmenschlich (darum schert sich heutzutage niemand viel); es ist nachweisbar leistungsunfähig - und in einem Zeitalter fortgeschrittener Technik ist Leistungsunfähigkeit die Sünde wider den Heiligen Geist.
    Ein wirklich leistungsfähiger totalitärer Staat wäre ein Staat, in dem die allmächtige Exekutive politischer Machthaber und ihre Armee von Managern eine Bevölkerung von Zwangsarbeitern beherrscht, die zu gar nichts gezwungen zu werden brauchen, weil sie ihre Sklaverei lieben. Ihnen die Liebe zu ihr beizubringen, ist in heutigen totalitären Staaten die den Propagandaministerien, den Zeitungsredakteuren und Schullehrern zugewiesene Aufgabe. Aber deren Methoden sind noch immer plump und unwissenschaftlich. Die alte, prahlerische Behauptung der Jesuiten, sie könnten, wäre ihnen die Erziehung des Kindes übertragen, für die religiösen Überzeugungen des Mannes bürgen, war ein Wunschdenken. Und der moderne Pädagoge ist wahrscheinlich noch weniger imstande, die Reflexe des Zöglings zu konditionieren, als es die ehrwürdigen Patres waren, welche Voltaire erzogen. Die größten Triumphe der Propaganda wurden nicht durch Handeln, sondern durch Unterlassung erreicht. Groß ist die Wahrheit, größer aber, vom praktischen Gesichtspunkt, ist das Verschweigen der Wahrheit. Indem totalitäre Propagandisten gewisse Dinge einfach nicht erwähnten, indem sie einen - wie Churchill es nannte - »eisernen Vorhang« herabließen zwischen den Massen und solchen Sachverhalten oder Argumenten, die von den politischen Machthabern für unerwünscht gehalten wurden, beeinflußten sie die öffentliche Meinung viel wirksamer, als sie es durch die beredsamsten Anklagen, die zwingendsten logischen Widerlegungen hätten tun können. Aber Schweigen ist nicht genug. Wenn Verfolgungen, Liquidierungen und andere Zeichen sozialer Reibung vermieden werden sollen, müssen die positiven Seiten der Propaganda genauso erfolgreic h eingesetzt werden wie die negativen. Die wichtigsten »Manhattan-Projekte« der Zukunft werden umfangreiche, von der Regierung geförderte Untersuchungen dessen sein, was die Politiker und die beteiligten Wissenschaftler »das Problem des Glücks« nennen werden - mit anderen Worten, das Problem, wie man Menschen dahin bringt, ihr Sklaventum zu lieben. Ohne wirtschaftliche Sicherheit kann die Liebe zur Sklaverei unmöglich entstehen; der Kürze halber nehme ich an, daß es der allmächtigen Exekutive und ihren Mana gern gelingen wird, das Problem dauerhafter wirtschaftlicher Sicherheit zu lösen. Sicherheit wird aber fast immer sehr schnell für selbstverständlich gehalten. Sie zu erreichen, ist bloß eine oberflächliche, äußere Revolution. Die Liebe zur Sklaverei kann nicht fest verankert werden, solange sie nicht das Ergebnis einer tiefgehenden persönlichen Revolution in den Gemütern und Leibern der Menschen ist. Um diese herbeizuführen, bedarf es unter anderem folgender Entdeckungen und Erfindungen: erstens einer sehr verbesserten Methode der Suggestion - durch Konditionieren des Kleinkindes und später, durch die Hilfe von
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