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Schöne Khadija

Schöne Khadija

Titel: Schöne Khadija
Autoren: Gillian Cross , Tanja Ohlsen
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sagte ich.
    »Somalia?« Dads Augenbrauen schienen durch die Decke schießen zu wollen. »Was will sie denn damit? Sie wird doch nicht …«
    »Oh doch, sie wird«, unterbrach ich ihn finster. Ich warf mir meinen Rucksack über die Schulter. »Da ist sie völlig abgebrüht. Heute Morgen hat sie ein Buch über den Krieg gelesen und gesagt Sieh dir nur die Stoffe an! , als ob es nichts Wichtigeres gäbe. Alles außer Mode ist ihr egal.«
    »Ist es nicht«, widersprach Dad. »Sie ist genauso an allem anderen interessiert. Aber bei ihr wird alles zu Silhouetten, Stoffen und Farben. So ist sie eben, Freya. Kannst du dir vorstellen, dass sie an Politiker schreibt oder Protestmärsche anführt?«
    »Wäre vielleicht sinnvoller«, meinte ich und knallte die Wohnungstür hinter mir zu. »Vielleicht schlage ich es ihr vor, wenn sie zurückkommt.«
    Dad hörte auf zu grinsen. »Sie ist doch nicht nach Somalia gefahren, oder?« Er versuchte zwar, gelassen zu klingen, aber es gelang ihm nicht ganz. Als ich ihn ansah, verkrampfte sich plötzlich mein Herz.
    »Ich glaube nicht. Warum? Ist es gefährlich?«
    »Ein bisschen.« Er wandte sich um und ging zum Aufzug.
    Mehr sagte er nicht. Er gehört nicht zu den Leuten, die sich stundenlang über etwas aufregen (ein weiterer Grund, warum ich ihn liebe), aber als wir gingen, war er sehr still.
    Ich versuchte, ihn abzulenken. »Hey, ich habe gerade in einem der Bücher gelesen, die sie sich von dir geliehen hat. Rate mal, was die Chinesen im zehnten Jahrhundert aus Somalia importiert haben.«
    »Weihrauch?«, vermutete Dad, aber ich konnte sehen, dass er nicht richtig zuhörte.
    »Rate noch mal«, verlangte ich kopfschüttelnd.
    Er legte die Stirn in kunstvolle Denkerfalten und zuckte dann mitden Achseln. »Keine Ahnung, ich gebe auf. Was haben die Chinesen denn im zehnten Jahrhundert aus Somalia importiert?«
    »Giraffen!«, verkündete ich mit großer Geste.
    Keine Reaktion. Ich wartete, bis wir um die Ecke gingen, doch er sah mich nicht einmal an.
    »Ach, komm schon«, verlangte ich, als ich es nicht mehr länger aushielt. »Denk doch mal nach! Was um alles in der Welt wollten sie mit Giraffen?«
    Normalerweise liebt er so alberne Herausforderungen. Fünfzehn Sachen, zu denen man eine Giraffe brauchen kann. Aber heute nicht. Er lächelte mich schwach an und man sah, dass er versuchte, sich etwas Lustiges auszudenken, aber es fiel ihm nur ein einziger lahmer Vorschlag ein.
    »Vielleicht zum … Bäumestutzen?«
    Nein, darüber konnte ich auch nicht lachen. Aber ich glaube nicht, dass meinem Vater das auffiel. Er machte sich immer mehr Sorgen, als wir bei ihm ankamen und im Lift nach oben fuhren. Und er sagte auch nichts mehr, bis wir in seine Wohnung kamen.
    Sie ist ziemlich kahl. Nicht so wie Sandys Wohnung, in der überall Bilder und Bücher über Mode herumliegen und auf allen Tischen und Ablageflächen Stofffetzen zu finden sind. Dad liebt Raum und Licht und Luft. Sein einziger Zimmerschmuck ist die riesige Fensterwand mit ihrer fantastischen Aussicht über die Stadt.
    Es war fast schon dunkel. Dad machte mir eine heiße Schokolade mit Marshmellows, die ich am Fenster stehend trank, während ich den dunkelblauen Himmel betrachtete. Ich sah die hübschen bunten Lichter, die die meisten richtigen Sterne überstrahlen.
    Als ich ausgetrunken hatte, drehte ich mich wieder um und sah Dad mit seiner Kameratasche in der Hand im Zimmer stehen. Nachdenklich sah er zu mir herüber.
    Ich hasse es, fotografiert zu werden. Fotos sind etwas für langbeinige Models und Berühmtheiten. Seit Dad angefangen hat, Porträts zu machen, hat er Hunderte von solch wundervollen Fotos gemacht.Aber ich hasse es, wenn er die Kamera auf mich richtet.
    »Komm schon, Frey«, bettelte er. »Vertrau mir. Es wird eine fantastische Aufnahme.«
    Ich hätte lieber nein gesagt, aber wenigstens lenkte es ihn von Sandy ab, also nickte ich – widerwillig – und drehte mich wieder zum Fenster um. »So?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nichts erzwingen. Vergiss mich einfach und sieh den Mond an.«
    Den Mond hatte ich noch nicht mal bemerkt, aber da war er, hoch über den höchsten Gebäuden. Eine winzige, blasse Sichel, wie ein Wolkenfetzchen, das sich jeden Moment auflösen würde. Ich starrte ihn an und musste aus irgendeinem Grund plötzlich wieder an Somalia denken. Dort war man drei Stunden voraus, das heißt, dass es dort mitten in der Nacht war. Sah dort auch genau in diesem Moment ein Somalimädchen zum Mond hinauf?
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