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Schöne Bescherung

Schöne Bescherung

Titel: Schöne Bescherung
Autoren: Sobo Swobodnik
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Schwiegermutter angefasst.«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Es hat mich einfach interessiert.«
    »Und deine Schwiegermutter hatte nichts dagegen?«
    »Nö, im Gegenteil.«
    »Das stimmt doch gar nicht, du lügst doch!«
    »Manuela, bitte!«
    »Was? Du lügst! Du hast die Bluse aufgemacht und hast mir deine Titten gezeigt.«
    »Ja, zeigen, aber nicht anfassen.«
    »Du hast ihm deine Brüste gezeigt, Manuela?«
    »Ja.«
    »Und wie waren sie, Holger?«
    »Geht so.«
    »Geht so, ha! Hin und weg warst du, gebettelt hast du, damit du dran rumfingern darfst.«
    »Du spinnst doch!«
    »Warum hast du sie ihm gezeigt, Manuela?«
    »Weil er sie sehen wollte.«
    »Zeigst du jedem deine Brüste, der sie sehen will?«
    »Holger ist doch nicht jeder.«
    »Holger ist dein Schwiegersohn.«
    »Eben.«
    »Manuela, hattet ihr Sex miteinander?«
    »Ha ha! Mit dem? Mit Holger? Der ist doch impotent!«
    nämlich schon beim morgigen Thema. Rufen Sie an: Der Weihnachtsmann macht mich an – Sex im Kostüm – ich kann nur in Verkleidung!«
    Montag. Dienstag. Mittwoch. Die ganze Woche – TV total. Da muss man ja verrückt werden, wenn man nicht schon verrückt ist! Plotek wurde vom medialen Müllschlucker zum Bildschirm-Junkie. Tag und Nacht lag er in einem erbärmlichen Zustand bei laufendem Fernsehgerät auf der Couch oder im Bett und ließ sich treiben im Strom der Bilder. Hin und wieder zappte er von einem zum anderen Sender auf der Suche nach noch mehr Erbärmlichkeit als der eigenen. Das hilft manchmal. Jetzt nicht. Jetzt fühlte sich Plotek immer noch trostloser und noch erbärmlicher, wie er da auf seiner Couch lag und die Trostlosigkeit und Erbärmlichkeit anderer als bunte, lärmende Bilder in sein Zimmer eindringen sah. Jetzt diese ekelhaften ›Körperwelten‹. Präparierte Leichenteile. Ganzkörper-Plastinate. Sterile Marionetten eines pseudokünstlerischen Gestaltungswillens. Eine Mischung aus Show und Gruselkabinett. Ein Reiter auf einem Pferd, das eigene Hirn in der Hand. Eine Schwangere im achten Monat, mit freigelegtem Bauch. Ein Mann mit der eigenen abgezogenen Haut über dem Arm. Grotesk verzerrte, kosmetisch geliftete Gesichter, hervorquellende Augen, freigelegte eingefärbte Muskulatur, Geschlechtsorgane mit noch erhaltener Schambehaarung, Lungen mit und ohne Teer. Ein Horrorszenarium. Dazwischen ein blasser Mann mit Hut, der durch die Ausstellung führte.
    »Die Echtheit der gezeigten Präparate ist für Erkenntnisgewinn und Aufklärung ganz wesentlich. Mediziner und medizinische Laien werden in jedem Fall fasziniert in ihr ›inneres Gesicht‹ blicken, die Vielfalt und Schönheit der menschlichen Natur bestaunen und Gelegenheit haben, über das eigene Gesundheitsverhalten sowie Leben und Tod nachzudenken.« bringen? Vielleicht: Lieber das Hirn in der Hand, als gar nichts im Kopf. Und die Schwangere im achten Monat Aufklärung? Acht Monate zu spät! O Gott, o Gott. Weggucken hilft, dachte Plotek. Der Zyniker könnte jetzt sagen: Der eine macht sein Geld mit Autos – die dann überfahrend Tausende von Leichen auf dem Gewissen haben. Der andere gleich mit Leichen. Da spielt dann wenigstens das Gewissen gar keine Rolle mehr. Und: Das ist im Kapitalismus eben so.
    Wieder hingucken – kurzzeitig. Menschen standen mit glänzenden Augen, offenen Mündern und ungläubigem Blick zwischen Ekel und Sensationslust vor den Plastinaten, als schauten sie dem Schicksal ins Arschloch. Um die eigene Endlichkeit erkennen zu können, braucht man keine Plastinate und auch kein »inneres Gesicht«. Das Äußere und ein Blick in den Badezimmerspiegel reichen, oder in den Fernseher, dachte Plotek und sah eine Frau, die eingehakt zu ihrem Mann sagte: »Schau Schatz, so sehen wir also aus!«
    Vergiss es, Schatz! dachte Plotek. Das ist, als schraubte man einen Fernseher auf, um zu sehen, wo all die kleinen Menschen wohnen, wenn gerade kein Programm ist. Und als ob das Öffentlich-Rechtliche jetzt plötzlich auch Bedenken bekäme, fragte der Kommentator: »Darf man das?«
    Mir doch wurscht, dachte Plotek. Dürfen oder nicht dürfen, das ist nicht die Frage, weil: Was darf man schon? Man darf sein Leben lang arbeiten, nicht krank werden, Steuern zahlen, rechts vor links abbiegen, einmal in vier Jahren wählen, Lotto spielen und nicht gewinnen, noch mehr Steuern zahlen, dann Rente (perspektivisch keine Rente), Testament machen und Tod. Da muss dann auch mal endlich Schluss sein mit dem Dürfen. Soll er sich doch selbst plastinieren, der blasse Mann
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