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Schöne Bescherung

Schöne Bescherung

Titel: Schöne Bescherung
Autoren: Sobo Swobodnik
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jahrzehntealte Rechnungen wieder aufgemacht. Das ganze Programm eben. Am Ende war nicht nur das Geschirr am Polterabend zerdeppert, sondern auch der Familienfrieden dahin. Bis zur nächsten Feier. Das letzte Mal war Plotek auf der Ostalb in Lauterbach zu Weihnachten. Und das ist auch schon fast ein Jahrzehnt her und hat katastrophal geendet. Zuerst noch nicht. Zuerst das übliche Geplänkel.
    »Wie geht’s?«
    »Gut.«
    »Dir auch?«
    »Geht schon.«
    »Alles klar?«
    »Ja.«
    »Und sonst?«
    »Auch.«
    »Ha ha.«
    Das Lachen verging dann aber ganz schnell. Zuerst Plotek, weil es Hasenbraten zu Mittag gab, wie immer bei den Ploteks an Weihnachten. Nicht schlimm, sollte man meinen. Doch schlimm! In Ploteks Kindheit sind die süßen, kleinen Häschen das ganze Jahr über im Garten herumgehüpft, um spätestens an Weihnachten als fette Hasen in der Pfanne zu landen. Das muss ein Kind erst mal verkraften, wenn seine Stupsi, sein Charly oder seine Vroni, die Tag für Tag geherzt und liebkost wurden, wie Brathähnchen aus dem Topf gucken. Plotek verkraftete es nicht. Er hasste Hasenbraten. Und alle Hasenbratenesser. Von da an und noch immer. Und die Hasenbratenesser hassten ihn. Und schon ging die Stichelei los und hörte nicht mehr auf. Den ganzen Tag nicht, und abends wurde es noch schlimmer. Wenn man hundertmal nach dem Hund tritt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Hund mal zurücktritt. Hört man oft, bei Hunden. In den Zeitungen steht dann: Hund fällt Herrchen an. Oder Hund beißt Mann, zerfleischt Familie, frisst Kind – Mahlzeit! Hat er eben zurückgebissen, der Plotek. Jetzt muss man wissen, dass Plotek im Prinzip ein gutmütiger Mensch ist. Viele sagen: zu gutmütig. Wenn das Fass aber voll ist, dann löst ein winziger Tropfen, ein Tröpfchen gar, gleich eine ganze Flutwelle aus. Die ersäuft dann alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist. In diesem Fall dem Weihnachtsbaum. Nach der Bescherung machte sich die Schwägerin mal wieder, wie so oft, über Ploteks Aussehen lustig. Zuerst hat sie an den Haaren herumgemäkelt, dann an der Kleidung, dem Fünftagebart. Natürlich war Plotek nicht gerade die gepflegteste Erscheinung. Das hat ihm aber weder die Schwägerin noch sonst irgendjemand auf dieser Welt sagen müssen. Das hat er schon selbst gewusst. Und selbst hat er auch nicht viel unternommen, um das zu ändern. Für Plotek war es im Prinzip nicht so wichtig, wie er aussah. Na ja, manchmal weniger wichtig, manchmal mehr. Tendenz eher weniger. Früher mehr. Dann immer weniger. Heute war es ihm völlig egal, wie er aussah. Meistens trug er immer dieselbe Breitcordhose, dazu ein Jackett und alte ausgelatschte Mokassins – sommers wie winters. Dass das der Schwägerin nicht gefallen konnte, war klar, und allen anderen auch nicht. Das, was die Schwägerin und alle anderen so mit sich herumtrugen, hat Plotek auch nicht gefallen. Und, hat er gemosert? Na, also! Die Schwägerin schon. Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein, hätte man jetzt neutestamentarisch mit dem Glauben argumentieren und die Schwägerin zurechtweisen können. Aber vergiss es. Der zur Schau getragene christliche Glaube der Älbler hat nur in der Kirche beim Hochamt seinen Platz und vielleicht noch als baumelndes Kreuz vor der Brust – ansonsten bestimmen die Gesetzmäßigkeiten der rauen Ostalb das Verhalten. Und das kann unerbittlich sein. Zumindest bei der Schwägerin. Ganze Wagenladungen voll Geröll hat sie auf Plotek abgekippt.
    »Wirscht emmer fetter un aufgschwemmter. Guat sieht des net aus«, hat sie gesagt und angewidert geguckt. Und alle anderen haben auch angewidert geguckt.
    Du auch nicht, hat Plotek gedacht, aber nichts gesagt, weil er wusste, der Schwägerin zu widersprechen ist wie einem toten Hasen ein abstraktes Bild erklären.
    »Muasch a bissle Gymnaschtik macha, Liegestütza, Knieabeiga, jogga, woisch?«
    Jetzt Grinsen von der Schwägerin und Grinsen der kompletten rotgesichtigen und pausbackigen Verwandtschaft.
    »Wenn er a Weib hätt, säh des au andersch aus«, sagte der Bruder und tat so, als ob er nicht nur über Ploteks Privatleben, sondern auch über sein Liebesieben bestens Bescheid wüsste. Dabei hatte er keinen blassen Schimmer. Weder von Ploteks Privat – oder Liebesieben noch sonst vom Leben. Die Schwägerin auch nicht. Niemand von den grinsenden Familiengesichtern. Deren Leben spielte sich in Lauterbach, um Lauterbach und um Lauterbach herum ab. Das war nicht weit. Das war nicht viel – nur ein
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