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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich
Autoren: Natalie Angier
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Ego und glühendem Gemeinschaftsgefühl. Hier stand ich also, ein weiteres Exemplar aus den Tiermodellbaukästen der Natur, sämtliche Standardeinzelteile wie nach einer bezifferten Vorlage sorgfältig zusammengefügt, und zwar in einer so gut wie unveränderten Anordnung, wenn man von einer leichten Verbreiterung des Beckenknochens einmal absieht.
    Gleichzeitig stand ich hier aber auch gesegnet mit einem Design, das der Prüfung durch ein Dutzend geologische Epochen standgehalten hatte. Ich fühlte mich als ein Beweis dafür, dass das Leben wirklich den Bogen raus hat, einen beweglichen Körper zu bauen, der kräftig und doch leicht, geschmeidig und doch Widerstandsfähig ist. Ich besaß einen Körper, der herumwirbeln, fliegen, springen,     Damit soll nicht gesagt sein, dass alle Tiere auf dieselben Ereignisse in derselben Weise reagieren. (Das tun sie ganz offensichtlich nicht. Ich selbst renne vor Schaben davon, meine Katzen aber nähern sich ihnen furchtlos, wenn nicht gar frohgemut.) Aber ich betrachte es als sicher, dass andere Arten sich ihrer selbst und ihrer Umgebung durchaus gewahr werden, dass sie ihre eigene Version von Bewusstsein besitzen. Ein Spinnenbewusstsein. Ein Finkenbewusstsein. Mir scheint dies eine Frage der Höflichkeit zu sein - und ein Eingeständnis meiner Unwissenheit. Wir wissen nicht, was im Kopf anderer Kreaturen vor sich geht. Warum also davon ausgehen, dass er leer ist? Warum davon ausgehen, dass ein Tier ein programmierter Roboter oder ein tauber Rohling sein muss, wenn es doch mit all der neurotischen Unwägbarkeit agiert, die Sie von jedem Wesen erwarten würden, das man wohl oder übel mitten ins Leben schubst? Deshalb war es mir eine echte Freude zu hören, dass unter den Naturforschern eine heftige Debatte über die Berechtigung des Anthropomorphismus tobt (Kapitel 27). Die Traditionalisten beharren darauf, dass das Ganze nichts weiter als unseriöse Wissenschaft ist. Schließlich sollten Wissenschaftler rastlos darum bemüht sein, ihre emotionale Objektivität zu wahren. Die Bilderstürmer stehen hingegen auf dem Standpunkt, dass man niemals in der Lage sein wird, ein anderes Wesen zu verstehen, wenn man nicht bereit ist, mit ihm zu fühlen. Ich schlage mich freimütig auf die Seite der Anthropomorphisten, wenngleich ich als Nichtwissenschaftlerin - und somit nicht gezwungen, meine intuitiven Beobachtungen mit Ergebnissen zu untermauern - darin weiter gehe als die meisten anderen und sogar Pflanzen vermenschliche. Wir erfahren zu viel über die Komplexität pflanzlicher Verteidigungsmechanismen und Kommunikationssysteme, um pauschal die Möglichkeit von der Hand zu weisen, dass Pflanzen sich und ihre Umgebung in irgendeiner Weise wahrnehmen.
    Ich vermenschliche sogar Moleküle, ja auch Proteine, Nukleinsäuren, Steroidhormone. Sie sind ebenso Darsteller kleiner Dramen. Sie bewegen sich, sie rotieren, sie umschließen Dinge, sie sind erfolgreich oder versagen. Ich habe den Teil über die molekularen Fundamente des Lebens mit »Tanzen« überschrieben, denn so präsentiert sich vor meinem geistigen Auge das, was man nicht sehen kann. Doch es gibt andere Möglichkeiten, sich das Reich des Submikroskopischen vorzustellen. Vor Jahren fragte ich einen Proteinkristallographen, der vermittels hochenergetischer Röntgenstrahlen die atomare Struktur von Proteinen untersucht, wie Proteine aussähen, wenn man sie auf normale Dimensionen vergrößern würde. Er überlegte einen Augenblick, dann sagte er: »In sich verdrehte Gummibälle.« - »Fantastisch!«, rief ich, und dieses Bild habe ich im Gedächtnis behalten. Die Arbeiter in unseren Körperzellen, die Zehntausende von Proteinen, die ihre zentralen Aufgaben erfüllen, egal, ob es uns bewusst oder gleichgültig ist, sind nichts anderes als buntes, knautschbares Spielzeug.
    Beim Thema Molekularbiologie tue ich alles, um mit Vergleichen oder Metaphern aufzuwarten. Ich tue das einerseits für mich selbst, um das
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