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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich
Autoren: Natalie Angier
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waren, Leimfallen zu meiden. Wie olympische Hürdenläufer überwanden sie eine nach der anderen, um an ein Päckchen Nudeln auf der anderen Seite des Fallengürtels heranzukommen. Zweifellos hatten diese Mäuse etwas aus dem Schicksal ihrer Geschwister gelernt, die in die Fallen geraten waren. Wenn Mäuse sich durch Beobachtung statt durch Mutationen in ihren Fertigkeiten verbessern können, warum dann nicht auch Schaben? Und wenn solche Flexibilität, Widerstandsfähigkeit und solcher Lebenshunger nicht etwas Wunderbares sind, was sonst gäbe es Gutes über die Evolution zu sagen, diese Mutter aller Erfindungen, die am Rand des Biomarathons steht und ruft: »Sieht gut aus! Weiter so! Bleib am Leben! Bleib am Leben!«
    Die Schönheit der Naturwelt liegt im Detail; die meisten dieser Details sind aber nicht das geeignete Material für Hochglanz-Bildkalender. Ich habe es zu meinem Hobby gemacht - fast schon zu einer Mission - , über Organismen zu schreiben, die viele Menschen abstoßend finden: Spinnen, Skorpione, Parasiten, Würmer, Klapperschlangen, Mistkäfer und Hyänen. Ich tue das zum einen aus einer etwas verdrehten Vorliebe für Themen, die von anderen Autoren in der Regel gemieden werden. Zum anderen hoffe ich, in den Lesern ein Gefühl der Hochachtung für die Vielfalt, für die Fantasie, für die verflochtenen, vernetzten, unendlichen Möglichkeiten der Naturwelt zu wecken. Jede einzelne Geschichte, die die Natur uns erzählt, ist überwältigend. Sie ist die wahre Scheherazade; sie vermag ein ums andere Mal eine neue Überraschung aus dem Ärmel zu zaubern. Natürlich kann ich nur einen winzigen Bruchteil dieser Geschichten erzählen. Doch damit plädiere ich in einem umfassenden Sinn für all die Geschichten, die noch erzählt werden könnten, für den Erhalt einer ungestörten Natur mit all ihren Golems, gruseligen Krabblern und Menschenfressern, mit Schaben und Schlangen, Blutsaugern, allem Gelichter und allen Ungeheuern der Welt.
    Neben Berichten über die Schönheiten etlicher ausgemachter Fieslinge liefere ich auch Beweise über das Fiese in einigen von uns landläufig als Ikonen der Schönheit geschätzten Existenzen. Viel geliebte Delfine benehmen sich gelegentlich wie Matrosen auf Landgang. Orchideen betreiben betrügerischen Handel. Die legendären Arbeiter der Wildnis - Vögel, Bienen, Biber - vertrödeln in Wirklichkeit mehr Zeit im Müßiggang als der Durchschnittseuropäer. Und jedes einzelne Geschöpf hintergeht seinen Partner oder versucht es zumindest.
    Aber auch all dieses wenig beispielhafte Benehmen ist in seiner Exklusivität wunderbar. Nach dem ersten Blick gibt es stets hinter den augenfälligen Merkmalen, die sich zu Beginn einer Betrachtung offenbaren und die zur Klassifizierung einer Art, eines Sozialsystems oder eines Geschlechts dienen, noch sehr viel mehr zu sehen. Ich freue mich immer wieder über neue Befunde, die zementierte Wahrheiten über den Haufen werfen oder zumindest komplizieren - auch dann, wenn ich über jene Wahrheiten in der Vergangenheit bereits geschrieben habe. So findet sich in diesem Buch beispielsweise ein Bericht über die weibliche Partnerwahl, ein Forschungsgebiet, das in den vergangenen zehn Jahren geradezu explodiert ist. Man vermutet, dass es bei vielen Arten die Weibchen sind, die sich wählerisch geben, wenn es um den Partner geht, und dass ihr extravagantes Verhalten bei der Evolution vieler reichlich übertriebener Merkmale der Männlichkeit eine wesentliche Rolle gespielt hat - Beispiele sind ein grell buntes Federkleid oder eine markerschütternde Stimme. Begründet wurde diese These mit dem relativ hohen Preis, den ein Weibchen für die Fortpflanzung zu zahlen hat. Das Weibchen investiert die größere Menge an Energie in das Austragen und die Aufzucht der Jungen, also muss der Theorie zufolge beim Weibchen der Anreiz zu einer besonders sorgsamen Wahl des Partners stärker ausgeprägt sein. Man nahm an, dass die enorm hohen Kosten der Fortpflanzung sich bis hinunter auf das Niveau der Geschlechtszellen auswirken. Das Ei eines Weibchens ist groß und mit Nährstoffen, Proteinen, Fetten und molekularen Signalen vollgestopft, um das Wachstum des Embryos zu gewährleisten. Das Spermium des Männchens ist klein und ökonomisch, nichts weiter als eine in ein schlüpfriges Proteingeschoss verpackte Portion Gene. Es ist eine gute alte wissenschaftliche Binsenwahrheit, dass Eizellen teuer, Spermien hingegen billig sind. Wen wundert's, dass Männer bei
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